Altes Herz geht auf die Reise - Roman
…« Und mit lauter Stimme: »Wir fahren fort. Frau Radefeldt, Sie haben weiter erklärt –«
»Herr Richter«, sagte die Radefeldten und erhob ihre derbe, knochige Gestalt zu voller Größe. »Ich habe mir den Kram noch mal überlegt: ich will es doch auf einen Prozeß ankommen lassen!«
»O Gott«, stöhnte Amtsgerichtsrat Schulz innerlich, »da haben wir ja nun die Bescherung. Dieser unselige Berliner Professor – nichts als Unheil bringt er!«
Laut aber sagte er: »Frau Radefeldt, das können Sie halten wie Pastor Nolte. Doch das sage ich Ihnen jetzt mindestens zum zehnten Mal, bei einem Prozeß werden Sie voraussichtlich nicht mit einer Geldbuße wegkommen, sondern …«
Die Tür tat sich auf, alle Gesichter wandten sich von Schulz fort und dem Professor zu. Er trat ein, groß und stattlich, mit dem freundlichen Gesicht unter den altersweißen Haaren. In der einen Hand hielt er seinen großenSchlapphut und in der andern einen sehr großen, sehr bunten Wiesenstrauß. Der Professor Kittguß dankte dem Wachtmeister Thode freundlich, und – siehe, der Amtsgerichtsrat sah es mit Staunen – der brummige Thode lächelte. Dann verbeugte sich der alte Mann höflich vor Auditorium und Richter. »Einen gesegneten guten Morgen«, sprach er und setzte sich in eine Ecke.
»Nein«, dachte der Amtsgerichtsrat Schulz völlig verdutzt, »für so töricht hätte ich die gute Frau von Wanzka wahrhaftig nicht gehalten. Des Schliekers schwarzem Herzen traue ich es ja unbesehen zu, daß er selbst diesen freundlichen alten Herrn für einen Schurken hält, aber Frau von Wanzka – unbegreiflich! Was macht er nur? Er riecht an Vergißmeinnichts. Seit wann riechen denn Vergißmeinnichts? Nun – es mag ja andere Nasen geben als deine, Schulz, für die auch Vergißmeinnichts duften, für die nicht einmal Schliekers stinken … Also«, sprach er laut, aber sanft, »ich fahre in der Verlesung des Protokolls fort … Was Sie da eben gesagt haben, liebe Frau Radefeldt, das überlegen Sie sich vielleicht noch ein elftes Mal, ja? Denken Sie doch, was für ein Triumph das für Sie wäre, wenn nun alle friedlich-schiedlich heim nach Porstel gingen, und alle Neider und Streiter hätten das Nachsehen …«
Dieser Appell an die Hauptneiderin und Hauptstreiterin war prozeßtechnisch sicher anfechtbar. Aber sei es nun, daß er auf die boshafte Frau Radefeldt wirkte oder daß die eben ausgesprochene Warnung vor dem sicher schlimm ausgehenden Prozeß es getan hatte oder, und das schien Schulz seltsamerweise am wahrscheinlichsten, daß es der freundliche Zuhörer tat mit seinem lächerlichen Strauß –: Frau Radefeldt murmelte nur etwas Unverständliches von nicht so laut vorlesen und setzte sich wieder.
Amtsgerichtsrat Schulz las also sein Protokoll weiter, und er las es so, wie er es noch nie getan hatte, nämlichunverständlich und nuschlig – und über alle schlimmen Stellen huschte er glättend hinweg.
»Nun«, sprach er dann mit einem tiefen Atemzug, »wer von Ihnen ist denn nun die Mutigste und geht mit dem Unterschreiben voran?«
Plötzlich waren sie alle da, und die Feder konnte gar nicht schnell genug von einer Hand in die andere gehen, und sie bedankten sich auch noch schön bei dem Herrn Richter. Der nickte ihnen von seinem hohen Stuhl freundlich und herzlich zu, wie ein rechter Lehrer seinen Kindern, die wohl einmal ungezogen sein können, aber nie schlecht.
Aber wenn sie aus der Tür gingen, dann nickten sie alle – das sah der Herr Amtsgerichtsrat wohl – dem alten Mann in der Ecke zu. Der nickte freundlich zurück und winkte ein wenig mit dem Strauß in der Hand – als sei er der netteste Schulrat von der Welt. Und vor einer halben Stunde hatte doch noch die ganze Amtsstube gestunken, als sei hier ein Riesenkübel Unrat und Unflat ausgeschüttet worden.
»Amtsgerichtsrat Schulz«, stellte er sich vor und sah zu dem stattlichen Mann auf, dem er etwa bis zum fünften Westenknopf von unten reichte.
»Professor Gotthold Kittguß aus Berlin«, sprach der Professor. »Was für eine nette Versammlung Sie hier eben hatten, welch freundliche, gute Gesichter! War es eine Trauung –? Ich konnte nicht ganz folgen. Aber Sie trauen wohl nicht?«
»Nein, ich traue nicht«, sagte der Amtsgerichtsrat nachdenklich und versuchte, in den Doppelsinn seiner Worte eine Bedeutung zu bekommen. Doch warum sollte er schließlich den alten Mann enttäuschen? »Es war etwas Ähnliches, eine Versöhnung.«
»Ja, ja«, sagte der, »Ihr Beruf
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