Altes Herz geht auf die Reise - Roman
ein paar Tüten, ein Stück Schinken …
Rosemarie begreift, wenn Schlieker auch weder den Professor noch sie gefunden hat, umsonst will er den Weg ins Waldhaus nicht gemacht haben. Seine Habgier hat ihm keine Ruhe gelassen, er kann diese Lebensmittel auch gebrauchen. Schlieker richtet sich auf, sein Gesicht verzieht sich dabei, er greift nach der Brust und stößt einen Fluch aus – er muß arge Schmerzen haben. Er steht einen Augenblick mit dem Gesicht nach der Türöffnung, er sieht hinaus zur Lichtung …
Er macht ein paar rasche Schritte und tritt auf die Schwelle.
Jetzt ist er ihr so nahe, daß er sie, wäre die Tür nicht dazwischen, berühren könnte, daß sie nicht mehr von ihm sieht als den blauen Streifen der Joppe. Angst überfällt sie, ihr Blick, meint sie, könnte ihn schon aufmerksam machen. Sie schließt krampfhaft die Augen – aber nun ist das fürchterliche Gefühl da, daß sie nicht weiß, was er tut, daß er sie jeden Augenblick entdecken, anfassen, schlagen kann. Ein Schrei sitzt in ihrer Kehle, kaum mehr zurückzuhalten … Und dies Gefühl dauert, dauert, es scheint unerträglich, endlos zu dauern – geht er denn nie wieder weg? Will er da ewig stehenbleiben?
Aber endlich hört sie ein Geräusch, Schritte entfernensich; langsam, an allen Gliedern schwach, öffnet sie die Augen. Direkt vor ihnen ist das Holz der Außentür, grau verwittert. Sie starrt atemlos darauf. Allmählich begreift sie, daß die Gefahr vorüber ist, wieder richtet sie den Blick durch den Türspalt.
Gottlob, der Stallwinkel ist leer, er wirtschaftet irgendwo hinten. Sie sieht beruhigt nach links, da ist Lichtung, Sonne, bunte Bäume – langsam wird sie wieder ruhig.
Nach einer Weile kommt Schlieker wieder in Sicht, diesmal hat er des Professors Reisetasche in der Hand. Von neuem muß sie erschrecken, aber diesmal auf eine leibhaftigere, weniger panische Art: also ist der Professor nur ein wenig spazieren und kann jeden Augenblick zurückkommen! Sie sieht wieder über die Lichtung. Sie ist leer. Sie dreht sich um und sieht auf den Mann. Er packt jetzt die Reisetasche aus, er tut es auf keine gute Weise, er dreht sie einfach um und läßt zu Boden fallen, was darin ist. Dann starrt er auf das, was auf der Erde liegt, säuberlich geplättete weiße Hemden, Strümpfe und Unterwäsche, ein Brillenfutteral … Rosemarie kann gut Schliekers Gesicht sehen, es grinst, wie es grinst! Ja, das ist der Schlieker ihrer Träume und Ängste, das ist der Schlieker, den sie allein kennt, der Teufel, der das Böse tut, nicht weil es ihm Vorteil bringt, sondern weil er das Böse liebt!
Siehe, nun hebt Schlieker ein Bein, er setzt den schmutzigen Schuh mitten auf die Brust eines säuberlich geplätteten Oberhemdes, er dreht den Fuß, die Leinwand wirft sich in Falten, dann hört Rosemarie das scharfe Reißen. Ihr ist, als hätte sie vor Schmerz und Zorn aufgeschrien, aber der da drinnen hat sicher nichts gehört. Er ist in einem Taumel von Entzücken, er trampelt und tanzt, er fetzt und stößt – das ist seine Welt, das ist auch eine Welt! Sein Gesicht ist gerötet, seine Zähne schimmern, dann bellt, da er stets wilder tanzt, ein trockener, scharfer Husten aus seinemMund – er hält inne, muß sich auf die Stuhllehne stützen. Als der Husten vorbei ist, sieht er nur noch mit ausdruckslosem, zerstreutem Blick auf die Zerstörung unter seinen Füßen. Dann fängt er an einzupacken …
Das Mädchen hinter der Tür könnte jetzt gehen, er muß gleich fertig sein, die Gefahr, entdeckt zu werden, steigt mit jeder Minute. Aber sie geht nicht, denn sie, die ihn so gut kennt, versteht ihn diesmal nicht: er wird doch nicht etwa diese Tasche mitnehmen? Die Lebensmittel sind kein Beweis gegen ihn, sie sind unkenntliches Gut; die zerstörte, verdorbene Wäsche kann jedem Stromer zur Last geredet werden; aber die Tasche –? Die Tasche ist doch Beweis gegen ihn! Sie kennt ihn doch, so habgierig er ist, so vorsichtig ist er auch.
Und als hätten sich ihre Gedanken auf den Dieb übertragen, blickt er plötzlich vom Einpacken hoch, scharf nach der Tür, sein Mund möchte pfeifen, er denkt nach.
Es ist schlimm, scheint ihr, solchem Menschen zuzusehen, wenn er sich allein glaubt. Da kommt alles, was sonst verdeckt und sorgfältig versteckt ist, klar ans Licht, vom Gesicht gleitet die Maske. Es ist, als sähe sie ihm in Hirn und Herz, und ein schlimmer Einblick ist das.
Der Mann dort drinnen nimmt das Eingepackte wieder aus der Tasche,
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