Altes Herz geht auf die Reise - Roman
schleudert sie zur Erde und sieht sich suchend um. Dann macht er einen raschen Schritt zu Rosemaries Bett und holt sich das Kopfkissen.
Sie begreift, sie begreift auf der Stelle, er will den Kopfkissenbezug vollstopfen. Sie erschrickt. Wenn er es sieht! Wenn er es jetzt sieht!
Er fängt schon an, den Bezug aufzuknöpfen, da fällt sein Blick noch einmal von der Seite auf das Bett, der Bezug fällt auf die Erde, er greift zu …
Hat er es doch gefunden, hat er doch das versteckte Geld gefunden!
Eine Wut faßt Rosemarie – sie möchte vorspringen, aber sie springt nicht vor. Sie starrt ihn an, ach, dies böse, triumphierende Lächeln auf den dünnen Lippen, diese gierigen, harten, grellen Augen. Wie er das Papiergeld zählt, hastig, gierig, habgierig, und wie er es noch einmal wieder zählt – mit langsamem, genießerischem Bedacht! Wie die Brieftasche verschwindet in der Innentasche der Joppe und dann das Silber klingelt und auch das Portemonnaie verschwindet –!
Der Mann sieht sich um, es ist jetzt ein anderer Blick, ein scheuer, gleitender, geduckter Blick, und doch voll dunkler Drohung …
Rosemarie zittert. So blickt einer, der auch zum Mord entschlossen ist, spricht es in ihr.
Aber der Mann Päule Schlieker glaubt sich allein. Er fängt wieder an zu packen, und plötzlich hat er es eilig. Er wirft die Dinge einfach in den Überzug …
Aber auch Rosemarie hat es eilig. Erst noch sachte und langsam, dann immer rascher zieht sie sich aus ihrem Versteck zurück, schleicht um die Hausecke, unter dem Fenster vorbei, und nun läuft sie, so rasch sie kann, in den Wald. Sie huscht hinter den Stämmen, bis sie in die Nähe des Waldpfades nach Unsadel kommt und dort späht sie, bis sie Päule Schlieker mit dem gefüllten Kopfkissenbezug an sich vorübergehen sieht. Er geht langsam und mühselig, und das nicht nur wegen der Last. Er hüstelt gerade.
Nun läuft sie los, durch den Hochwald, schlägt einen großen Bogen um den Mann, rennt, rennt, damit sie noch vor ihm in Unsadel, im Schliekerschen Hause bei der Kranken ist. Und beim Arzt.
»Ich habe Schlieker in der Hand«, denkt sie triumphierend.
19. KAPITEL
Worin Professor Kittguß in Geldsachen ohne Geld nach Berlin verreist
Dreier Stunden schärfsten Hinhorchens, lautesten Schreiens, tiefster Kenntnis aller Verwandtschaften im Dorfe Porstel hatte es bedurft, um das Geilkraut des Klatsches so weit zu lichten, daß die Witwe Radefeldt genötigt und bereit war zuzugeben, daß alle ihre Anmerkungen über Vorleben, Ehe, Charakter und Fähigkeiten der Frau Thams erstunken und erlogen waren. Worauf achtzehn weitere verleumderische Nachreden anderer Dorfeinwohner in sich zusammenfielen wie angestochene Schweinsblasen.
Amtsgerichtsrat Schulz auf seinem hohen Thron hatte bitten und drohen, schmeicheln und väterlich vermahnen müssen, er hatte zu überlisten und zu verblüffen gehabt, und vor allen Dingen hatte er natürlich geschrien, über die Maßen, lauter als alle, vernichtend, durchdringend geschrien. Aber nun winkte nahe die Siegerkrone des Vergleichs, die den Richter mehr ehrt als zehn Beleidigungsklagen.
Er wischte sich die Stirn, seine Stimme war sanft und geölt, der Sündenbock – wenn man so sagen darf –, Witwe Radefeldt, lieferte nur noch das letzte Rückzugsgefecht, um die Unterschrift unter das Protokoll, das Geldbuße und Widerruf in der Lokalzeitung festsetzte, zu verbrämen –
Da schlich durch die vorsichtig geöffnete Tür auf Zehenspitzen, nur ganz behutsam mit dem Säbel klirrend, Justizwachtmeister Thode an den Richtertisch.
»Thode –!« flüsterte Amtsgerichtsrat Schulz vorwurfsvoll und setzte an zum Weiterbegütigen der Witwe Radefeldt.
»Es ist ein Herr draußen …«, flüsterte Thode geheimnisvoll.
Amtsgerichtsrat Schulz hatte zu lauschen und zu schauen. Neigte nicht schon die dicke Gastwirtin Eichberg der Radefeldt flüsternd den Kopf zu, ihr neues Gift einzuspritzen –? Noch stand keine Unterschrift unter dem Protokoll, noch war alles in der Schwebe … »Und wenn es der Herr Justizminister ist, Thode –!« stöhnte Schulz.
»Es ist der alte Herr, der mit der kleinen Thürke … Sie wissen schon …«
»Ja, ja«, stöhnte der Amtsgerichtsrat. Er sah, wie Frau Thams mit ihrem jungen Vetter Max in Verbindung zu kommen suchte, dessen Rolle in diesem Spiel bei weitem nicht ganz klar war. »Bringen Sie ihn rein, Thode, setzen sie ihn in eine Ecke. Lassen Sie ihn nicht weg. In einer Viertelstunde bin ich, hilf Gott, so weit
Weitere Kostenlose Bücher