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Alteuropa-Trilogie 1 - Im Jahr der Pferde

Titel: Alteuropa-Trilogie 1 - Im Jahr der Pferde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Mackey
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Kreislauf blieb niemals unvollständig. Schweigend überließ sie sich der Berührung der Pinsel und dem sanften Streicheln der Finger, die Pigmente auf ihre Haut auftrugen. Als sie schließlich die Augen öffnete und an sich herunterblickte, um zu sehen, was die Frauen getan hatten, schien ihr Körper fremd und wie verzaubert, und sie fühlte eine eigenartige Mischung aus Stolz, nervöser Erregung und sogar ein wenig Furcht, daß sie vielleicht zu weit gegangen waren.
    Urgroßmutter Ama trat zurück, begutachtete Marrah von Kopf bis Fuß und bekundete ihre Zufriedenheit. Ama war weit über sechzig, was sie zur ältesten und am höchsten geachteten Frau im Dorf machte, und keine Zeremonie, wie trivial auch immer, begann oder endete ohne ihre Zustimmung. Sie war eine große Frau mit schweren Brüsten und ausladenden Hüften und hatte ein rundes Gesicht wie ein Vollmond, von Wolken weißen Haares eingerahmt. Aber obwohl ihr Gesicht alt war, waren ihre Augen immer noch klar und funkelten vor fröhlichem Schabernack. Ama hatte viele Liebhaber gehabt seit dem Tag ihrer Volljährigkeit, doch sie erinnerte sich noch gut daran, was es für ein Gefühl war, ein Mädchen zu sein, das im Begriff ist, zur Frau zu werden.
    »Du wirst deine Sache gut machen«, sagte sie zu Marrah.
    Erleichtert lächelte Marrah und hob ihr Bein, um die Schlange zu inspizieren. Sie wollte etwas Denkwürdiges sagen, aber plötzlich war ihre Kehle vor Scheu wie zugeschnürt.
    »Als nächstes«, erklärte Ama, »werden wir dich ankleiden.« Sie griff nach einem großen, kunstvoll mit Perlen bestickten Lederbeutel, zog die Lederschnüre auf und entnahm ihm einen Leinenrock und dann ein Cape aus Federn, bei dessen Anblick Marrah erstaunt und überwältigt nach Luft schnappte. Der Umhang war das Schönste, was sie jemals gesehen hatte, aus den goldenen Federn von Rebhühnern gearbeitet und gesäumt mit den bläulich-grün schillernden Flaumfedern von Auerhähnen und den faszinierend blauen und türkisfarbenen Schwanzfedern des Eisvogels. Es war ein Umhang, der der Vogelgöttin Xori selbst würdig gewesen wäre, so leicht wie ein Atemhauch, und sobald Marrah ihn erblickte, wußte sie, daß Sabalah ihn gefertigt haben mußte. Keiner konnte so wundervoll weben wie ihre Mutter, die in den Tempeln von Shara in dieser Kunst unterwiesen worden war.
    »Ist der etwa für mich?« rief Marrah ungläubig.
    Ama tat so, als blickte sie sich suchend in dem kleinen Raum um.
    »Ich weiß nicht. Ich sehe hier keine anderen Mädchen, die heute volljährig geworden sind, du vielleicht?« Sie spähte in die dunklen Winkel und schmunzelte. »Nein, ich schätze, du bist die einzige. Deshalb werden wir ihn dir geben.«
    Impulsiv griff Marrah nach Sabalahs Hand, zog sie an sich und küßte sie. »Danke, Mutter«, flüsterte sie, und wieder drängte alles in ihr danach, noch mehr zu sagen, aber sie war so glücklich, daß ihre Stimme versagte.
    Es dauerte nur einen Moment, um den Rock um Marrahs Taille zu gürten und den federbesetzten Umhang um ihre Schultern zu binden. Als sie fertig waren, führten die älteren Frauen sie hinaus und geleiteten sie durch die jubelnde Menge über einen Pfad aus Rosenblättern zu der hölzernen Plattform am anderen Ende des Dorfes. Der Gang schien nur Sekunden zu dauern. Marrah war so aufgeregt, daß sie kaum die Gesichter der Menschen wiedererkannte, die ihr ein Leben lang vertraut waren, aber irgendwie schaffte sie es, bis zu der Plattform zu kommen, ohne zu stolpern.
    »Viel Glück!« riefen ihr ihre Freunde und Verwandten zu. »Möge Xori dich beschützen! Möge Amonah dich behüten und beschützen! Mögest du Kinder bekommen, wenn du sie dir wünschst! Lebe wohl, kleines Mädchen! Sei willkommen, neue Frau! «
    Mit zitternden Händen ließ Marrah sich von ihrem Onkel Seme auf die Plattform hinaufhelfen.
    Onkel Seme war ihr Aita, was ihn zum wichtigsten Mann in ihrem Leben machte. Grob übersetzt bedeutete es »Vater«, aber es war keine biologische Verwandtschaft. Das Volk der Küste wußte sehr genau über Zeugung und Empfängnis Bescheid, nachdem sie schon seit Generationen Haustiere züchteten, aber die Tatsache, daß ein spezieller Mann seinen Teil zur Zeugung eines Kindes beigetragen hatte, hatte praktisch keinerlei Bedeutung für sie. Wahre Vaterschaft bestand in einer lebenslänglichen Verpflichtung, ein Kind zu ernähren und aufzuziehen. Wenn ein Kind geboren wurde, bat die Mutter einen Mann – gewöhnlich einen Onkel oder Großonkel

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