Alteuropa-Trilogie 2 - Die Schmetterlingsgöttin
etwas beklommen zumute, aber als sie be-griff, daß ihr die Priesterinnen nichts Böses wollten, entspannte sie sich und begann, derbe Hansi-Witze zu erzählen, die selbst eine Statue hätten erröten lassen. Zum Glück verstanden die Priesterinnen kein Wort davon, und sie verrichteten ihre Arbeit mit ernsten Mienen, während sie Hiknaks halb gelähmte Hand und ihren Fuß in passendes Rot tauchten.
Als sie fertig waren, hüllten sie sie in einen warmen Umhang und führten sie barfuß zum Haupttempel, wo sie sie anwiesen, sich auf einer schmalen Pritsche vor den Tongöttinnen auszustrecken.
Marrah folgte der Prozession mit Keshna auf dem Arm, die alles und jeden mit schmalen, mißtrauischen Augen prüfte, wen sie als nächsten beißen sollte. Als sie jedoch den Tempel betraten und Kal auf seiner Harfe spielen und Glyntsa und die anderen Priesterinnen die Heilgesänge singen hörten, schien Keshna ihre Angst zu verlieren. Der Gesang war wunderschön, während die Stimmen in der klaren Morgenluft anschwollen und wieder verklangen; derweilen überkam Marrah, die dort saß und den Priesterinnen beim Kerzen-anzünden zuschaute, bis Hiknak von unzähligen Lichterketten umringt war, tiefer innerer Friede. Es überraschte sie nicht, als sie hinunterschaute und Keshna schlafend in ihren Armen fand.
Nachdem alle Kerzen brannten, brachten Glyntsa und zwei ihrer Priesterinnen große Muscheln mit buntem Sand und trichterförmige Tüten aus dünner, zusammengerollter Baumrinde, die mit Hanffäden umwickelt waren. Sie schütteten den Sand Farbe für Farbe in die Tüten und begannen, kunstvolle Muster um Hiknak herum auf den Boden zu streuen. Viele der Muster waren die gleichen, die Marrah auf katakanischen Töpfen und Vasen gesehen hatte: weiße Hunde, Mondsicheln, Schlangen und Energiespiralen.
Aber es erschienen auch neue Symbole, die ihr fremd waren: phantastische, seltsam gefleckte Tiere mit langen Hälsen, blaue Löwen, eiförmige Netze von der Farbe von Blut, und ein besonders prächtiges Muster, das aus einem weitverzweigten Baum und Booten, Vögeln und heiligen Blumen bestand. Zum Schluß malten die Priesterinnen eine perfekte Hand und einen perfekten Fuß daneben; dann huschten sie hin und her, verteilten den Sand mit den Füßen in alle Richtungen und forderten Hiknak auf, von ihrer Pritsche aufzustehen – geheilt.
Es war eine eindrucksvolle Zeremonie gewesen, aber leider zeigte sie nicht den erhofften Erfolg. Hiknak erhob sich in demselben Zustand, in dem sie sich hingelegt hatte: mit einer schwachen Hand und einem schleifenden Fuß, doch sie war tapfer genug, ihre Enttäuschung nicht zu zeigen. Sie bat Marrah, sich in ihrem Namen bei Glyntsa, Kal und den Priesterinnen zu bedanken; dann hüllte sie sich in ihren Umhang und hinkte zum Gästehaus zurück, um sich die Farbe abzuwaschen.
»Sag ihr, daß diese Art von Heilung manchmal eine ganze Weile braucht, um zu wirken«, tröstete Glyntsa, und Marrah gab es an Hiknak weiter, die darauf nichts erwiderte. Sie preßte nur die Lippen zusammen und streckte die Arme nach Keshna aus. Den Rest des Morgens über saß Hiknak in dem kleinen Raum, während sie mit leiser Stimme vor sich hin murmelte und farbige Bänder in Keshnas Haar flocht. Es schien ein sonderbares Benehmen, aber als Marrah genauer hinhörte, erkannte sie, daß Hiknak auf hansi zu irgendeinem Gott betete, von dem sie noch nie gehört hatte.
Am frühen Nachmittag erschien Glyntsa, um Keshna zu holen. Marrah war überrascht, als sie sah, daß Glyntsa ohne die anderen Priesterinnen gekommen war und ihre rituellen Gewänder abgelegt hatte.
»Zieht das Kind warm an und vergeßt nicht, eure Umhänge und Fausthandschuhe mitzunehmen«, erklärte Glyntsa. »Wir gehen zu den Heilquellen. Sie liegen oben in den Hügeln, und wir werden nicht vor Einbruch der Dunkelheit zurück sein.«
»Frag sie, ob wir reiten können«, bat Hiknak.
Als Marrah übersetzte, schüttelte Glyntsa den Kopf. »Nein, wir müssen zu Fuß gehen. Alles muß in Demut geschehen. Ich kann euch auch gleich aufklären, daß keinerlei Zeremonie stattfindet. Das Imsha duldet nicht einmal eine Kerze in der Nähe der Quellen.«
»Wer oder was ist dieses Imsha, von dem ständig alle sprechen? «
Glyntsas Mund verzog sich zu einem geheimnisvollen Lächeln, das fast schelmisch wirkte. »Das werdet ihr früh genug herausfinden«, versprach sie. Sie blickte auf Hiknaks Fuß. »Meinst du, du kannst so weit laufen?«
»Wenn ich meinen Knöchel
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