Alteuropa-Trilogie 2 - Die Schmetterlingsgöttin
überbrachte.
Die Botin erhob sich von ihrem Platz. Ihre Wangen waren bleich und eingefallen vor Müdigkeit, und ihr dunkles Haar hatte der Wind zerzaust; aber ihre Augen funkelten so hart wie an jenem Tag vor langer Zeit, als sie Marrah erklärt hatte, daß Marrah entweder Vlahan heiraten oder sterben müsse.
Dalish besaß ein weiches Herz, und wenn sie gezwungen war, etwas zu tun, was jemandem weh tun konnte, dann errichtete sie eine Schutzmauer um sich und wurde brüsk beziehungsweise richtig unhöflich.
»Hallo, Marrah«, sagte sie knapp. »Deine Großmutter läßt dich grüßen und dir ausrichten, du sollst nach Shara zurückkommen, um Kriegskönigin zu werden.« Ihr Benehmen war so unpersönlich, daß sie irgendeine Botin hätte sein können, statt eine von Marrahs engsten Freundinnen; sie umarmte Marrah nicht einmal zur Begrüßung, sondern stand nur steif da und sprach im ruppigsten Ton, der ihr zur Verfügung stand. »Die Nomaden reiten nach Süden und können jederzeit angreifen.«
Erzähl mir von Keru und Stavan und Arang! dachte Marrah, doch sie wagte nicht zu fragen aus Angst vor dem, was sie vielleicht zu hören bekäme.
»Warum sollten sich die Nomaden die Mühe machen, Shara anzugreifen?« wollte Hiknak wissen. »Es gibt dort nichts, was für sie von Interesse sein könnte. Stavan ist fort, und Vlahan hat Keru und Arang bereits in seiner Gewalt – also, warum stürzen sie sich dann in das Unterfangen, Shara zu erobern, wenn Städte wie Kataka viel reicher und näher sind?«
Sie unterhielten sich auf sharanisch, aber Kal verstand die Worte. Seine Augen wurden schmal, als Hiknak die Reichtümer von Kataka erwähnte, er schwieg jedoch. Was Hiknak gesagt hatte, stimmte: Es war ein weiter Weg von der Steppe bis nach Shara, und wenn die Nomaden auf Gold und Vieh aus waren, gab es im Norden wesentlich reichere Beute zu holen. Changar mochte Marrah zwar hassen, aber er war nicht so dumm, Vlahan zu einer Expedition so weit nach Süden noch über den Rauchfluß hinweg zu überreden, nur wegen seiner Gier nach ihrem Kopf.
»Du irrst dich. Es gibt etwas in Shara, was Vlahan wiederhaben will. Etwas – oder eher: jemand, für den er jeden Preis zahlt.« Dalish hielt inne und ließ ihren Blick von Hiknak zu Marrah schweifen und wieder zurück. »Arang.«
»Arang ist entkammen! « rief Hiknak selig.
»Ja. In genau diesem Moment ist er in Shara. Er hat gefleht und gebettelt, mit mir nach Kataka reiten zu dürfen, aber Lalah wollte es nicht erlauben. Sie sagte, es käme einer Herausforderung an die Nomaden gleich, uns aus dem Hinterhalt zu überfallen. Arang kam nach Süden zusammen mit dem Händler, der die Nachricht von der Schlacht brachte. Er sagte, Stavan hätte Vlahans Lager überfallen und Arang befreit.«
»Du hast mit ihm gesprochen!« Hiknak klatschte begeistert in die Hände und drehte sich zu Marrah um. »Gelobt seien deine Götter und meine! « Sie wandte sich wieder an Dalish. »Wie hat er ausgesehen? Was hat er erzählt? Läßt er mir etwas ausrichten?«
Marrah war sprachlos vor Überraschung. Sie war auf böse Neuigkeiten gefaßt gewesen, statt dessen hatte Dalish gute gebracht.
»Wie geht es Arang? « fragte Hiknak aufgeregt. »Erzähl mir alles, auch wenn es schlimm ist. Haben sie ihm die Ohren abgeschnitten oder seine Männlichkeit oder ihm die Augen ausgestochen? « Marrah wünschte inständig, Hiknak wäre ausnahmsweise einmal weniger unverblümt, aber ihr Nomadencharakter brach sich immer wieder Bahn. Falls Arang verstümmelt worden war, würde keiner mehr trauern als sie, und trotzdem würde sie sich nach den schrecklichsten Einzelheiten erkundigen.
Dalish zuckte die Achseln. »Als ich Shara verließ, hatte Arang zwei Augen, zwei Ohren, zwei Arme, zwei Beine und – soweit ich das beurteilen kann – auch sonst noch alles Erforderliche. Er war der Große Häuptling bei den Hansi – nur dem Namen nach natürlich, aber trotzdem Großer Häuptling –, deshalb hat Vlahan für gute Behandlung gesorgt. Vlahan kann die Zwanzig Stämme ohne Arang nicht zusammenhalten. Ich nehme an, Arang hat den größten Teil seiner Zeit damit verbracht, im Zelt des Häuptlings zu sitzen, gebratenes Lamm zu essen und Audienzen abzuhalten – mit einer Dolchspitze im Rücken. Er läßt euch beiden liebe Grüße ausrichten.«
Sie wandte sich an Hiknak. »Zu dir sagt er: ›Komm bald zurück und bring Keshna mit, damit ich euch beide wieder in meine Arme schließen kann.‹« Dann drehte sie sich zu
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