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Alteuropa-Trilogie 2 - Die Schmetterlingsgöttin

Titel: Alteuropa-Trilogie 2 - Die Schmetterlingsgöttin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Mackey
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Macht, als daß er irgend jemandem die Krone des Großen Häuptlings hätte anvertrauen können. Deshalb blieb das Gold auf Vlahans Kopf, und Puhan bekam den Wolf.
    Bevor Puhan Stavan tötete, hatte er nie etwas Bemerkenswerteres vollbracht, als ein paar Stück Vieh zu stehlen. Er war klein und dürr, mit einer spitzen Nase und leicht schielenden Augen, und sein Silberblick hatte ihm den Ruf eingebracht, der schlechteste Schütze im ganzen Stamm zu sein. Es hieß immer, wenn Puhan einen Pfeil in seinen Bogen spannte, sollten die Männer rechts und links von ihm auf schnellstem Wege in Deckung gehen; doch infolge seiner unerhörten Heldentat hatten die anderen aufgehört, auf seine Kosten Witze zu reißen – abgesehen von einigen Neidhammeln, die flüsterten, sein Sieg sei bloß ein Glücksfall gewesen, der eigentlich einem besseren Mann zugestanden hätte.
    Insgeheim wußte Puhan, daß seine Konkurrenten recht hatten: Er war von Natur aus ein Feigling, aber durch eine seltsame Wende des Schicksals hatte er Ruhm auf sich und seine gesamte Sippe gehäuft. In der Hitze des Gefechts hatte er versucht, sich in Sicherheit zu bringen, und war unabsichtlich und ohne es zu merken geradewegs auf den Feind zugaloppiert.
    Plötzlich befand er sich direkt hinter Stavan, Sohn von Zuhan. Puhan, der Stavan vom Sehen her kannte, wurde von so fürchterlichem Entsetzen gepackt, daß er, noch bevor er wußte, was er tat, wie wild mit seiner Keule ausholte; damit hatte er einen Glückstreffer gelandet, Stavan am Kopf getroffen und ihn vom Pferd geschlagen.
    Zuerst war er so verblüfft gewesen, daß er einfach nur im Sattel saß und darauf wartete, daß Stavan wieder aufstand, um sich an Puhan zu rächen. Doch als Stavan weiterhin reglos auf dem Boden liegenblieb, begriff Puhan, daß Stavan zumindest bewußtlos sein mußte; er sprang von seinem Pferd, um nachzusehen, ob er seinen Feind womöglich getötet hatte.
    Zu seiner großen Freude stellte er seinen Sieg fest. Mit einem Jubelschrei begann er, den Leichnam seines Schmucks zu berauben, mit dem er die Überwältigung des Mannes beweisen konnte, auf dessen Kopf Vlahan so scharf war.
    Zuerst nahm er Stavans Armband und riß ihm die goldenen Ringe aus den Ohrläppchen, dann versetzte er ihm einen Fußtritt, um ihn auf den Rücken zu rollen, zog den goldenen Anhänger in Form eines Pferdes von seinem Hals und schnappte sich seinen Dolch und Gürtel mit der Hast eines Mannes, der es gewöhnt ist, auf der Flucht zu plündern.
    Aber zu seinem ewigen Kummer hatte Puhan es nicht geschafft, sich des Kopfes von Stavan zu bemächtigen; denn gerade als er sich hinkniete, um ihn abzutrennen, waren plötzlich fünf feindliche Krieger mit markerschütternden Schlachtrufen auf ihn zugestürmt, und er hatte sich mit knapper Not retten und auf sein Pferd schwingen können.
    Natürlich verdankte Puhan seiner panikartigen Flucht das Ergebnis, daß er heute abend wohlbehalten im Zelt des Häuptlings saß und auf seine Trommel schlug; verständlicherweise tauchte dieser Abschnitt der Geschichte nicht in seinem Lied auf.
    In seiner prahlerischen Version hatte Puhan ohne fremde Hilfe ein Dutzend Shubhai-Krieger zurückgeschlagen und fünf von ihnen getötet, bevor ein weiteres Dutzend zur Verstärkung anrückte. Als er schließlich gezwungen war, vor dem Feind das Weite zu suchen, hatte er ihnen Beleidigungen entgegengeschleudert und sie derart wüst beschimpft, daß sie sich schämten, Shubhai zu sein.
     
    Ihr Söhne von Schlampen, ich bin Puhan!
    Seht mich an und schreit vor Angst!
    Puhan, der Wolf, spuckt euch ins Gesicht!
    Puhan pißt auf euch und eure Sippe!
     
    Was er wirklich geschrien hatte, war: »Hilfe! Hilfe! Verschont mich!«, aber das machte sich nicht sonderlich gut in einem Heldenlied. Obwohl sein Prahlgesang heute abend fast doppelt so lang war wie am Abend zuvor, ließ er diejenigen Einzelheiten aus, die ihn und seine Familie in ein schlechtes Licht gerückt hätten.
    Zum Beispiel tauchte Vlahans Reaktion auf die Nachricht von Stavans Tod in keiner Strophe seines Liedes auf, und das aus gutem Grund: Vlahan war so außer sich vor Wut gewesen, als er von Puhans Versagen erfuhr, ihm Stavans Kopf zu bringen, daß er mit seinem Dolch ausgeholt und ein Loch in die Wand seines eigenen Zeltes gefetzt hatte.
    »Du erbärmlicher Feigling!« hatte Vlahan gebrüllt. »Du dämlicher, schieläugiger Sohn einer Hündin! Weggerannt bist du und hast den Kopf von Stavan dem Verräter wie einen alten Stiefel

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