Alteuropa-Trilogie 2 - Die Schmetterlingsgöttin
Ding, sondern viele, und sie krochen leise in Richtung Fluß, immer eines zur Zeit. Manchmal sah es wie grauer Nebel aus, manchmal wie ein berittener Krieger und manchmal wie ein Phantasiegebilde.
Dunkle Gestalten überquerten das schwarze, im Widerschein der Sterne glitzernde Wasser und verschwanden in den Wald; jedesmal, wenn eine von ihnen zu der Furt kam, hörte man ein gedämpftes Platschen. Bald waren die verbrannten Felder wieder leer, und zu dem Zeitpunkt, als Arang seine Runde antrat, war nichts mehr zu sehen außer den Sternen.
Diese Nacht barst vor Heimlichkeiten und verstohlenen Aktivitäten. Auf der Rückseite der Klippen machte sich ein Hansi-Kriegerverband an den Aufstieg zum Grat, wobei sie sich mit Armen und Beinen gegen die Ränder der Felsspalte stemmten. Die Krieger hatten ihre Körper mit Ruß geschwärzt und ihr Haar mit Schlamm dunkel gefärbt. Sie trugen keine Stiefel, damit sich ihre Zehen am Fels festklammern konnten; während sie sich nun keuchend die Klamm hinaufarbeiteten, waren sie – abgesehen von dem Weiß ihrer Augäpfel – praktisch unsichtbar in der Dunkelheit.
Als der erste Mann den Grat erreicht hatte, ließ er sich auf den Bauch fallen und kroch bis zum gegenüberliegenden Rand. Lange Zeit blickte er auf das sharanische Lager hinunter, während er sich die Lage der Zelte, des Tempels, der heißen Quelle und der Feuer einprägte. Seine besondere Aufmerksamkeit galt den Wachen, und nachdem er sich ihre Position gemerkt hatte, kroch er zu seinen Kameraden zurück.
Wie immer, wenn es die Umstände erforderten, äußerte er sich in Zeichensprache, und er hob dabei seine Hände zum Himmel, um aus dem Licht der Sterne Nutzen zu ziehen. Der Mann hieß Chirchan, und er war derselbe hochgewachsene Krieger, der damals Stavans Spuren zum Teich gefolgt war und es dennoch nicht geschafft hatte, ihn aufzuspüren. Den Grund dafür, warum Vlahan Chirkhan nicht hingerichtet hatte, als er Stavans Entkommen herausfand, konnte man nur raten; aber wahrscheinlich hing es mit der Tatsache zusammen, daß Chirkhan der beste Fährtensucher war, den die Hansi jemals hervorgebracht hatten.
»Der Wind weht in unsere Richtung«, signalisierte Chirkhan jetzt. Die Krieger nickten zufrieden, weil es bedeutete, daß die sharanischen Hunde sie nicht riechen konnten und keinen Alarm schlagen würden. »Die Wachen blicken eisern in Richtung Stadt. Ihre Feuer sind fast heruntergebrannt. Alle anderen schlafen.«
Bisher waren es gute Nachrichten, aber jetzt berichtete Chirkhan ihnen etwas, womit die Krieger zwar gerechnet hatten, was aber dennoch ein leises Gefühl der Enttäuschung bei ihnen auslöste. »Changar hatte recht. Wenn wir uns hier abseilen, gelangen wir nicht sogleich ins Lager des Feindes, sondern rechts davon.« Chirchan machte eine schwingende Bewegung mit seiner rechten Hand.
Statt also das Seil über den Rand zu werfen und mitten zwischen den ahnungslosen Sharanern zu landen, würden sie vor- und zurückschwingen, auf den Pfad abspringen und einer nach dem anderen zu dem Felsvorsprung hinaufschleichen müssen. Mehrere der Krieger runzelten besorgt die Stirn und machten Zeichen, um das Böse abzuwehren. Diese Felsspalte hinaufzuklettern war schon schlimm genug gewesen; aber der Gedanke an das, was ihnen jetzt bevorstand, erweckte in einem echten Steppenbewohner die Sehnsucht, spornstreichs in das flache Land zurückzukehren.
»Lücke?« signalisierte ihr Anführer. Wenn sie unterhalb der Lücke im Pfad landeten, konnten sie sich das gefährliche Manöver ersparen. Sie brauchten kein Seil, um dorthin zu kommen. Die Stelle ließ sich wesentlich einfacher und gefahrloser erreichen, wenn sie vom Fuß der Klippen aus hinaufwanderten.
»Nein, nein, knapp oberhalb«, teilte ihm Chirkhan mit. Dies war nicht die beste Nachricht, da es ein sehr viel gefährlicheres Manöver bedeutete, als sie angenommen hatten. Trotzdem war es nicht das Schlimmste: Die Männer an dem Seil hätten ein leichtes Ziel für die sharanischen Pfeile geboten. Wenn sie zwei volle Pfadbiegungen unterhalb des Felsvorsprungs abwärts robbten, würde zumindest keiner der Wachtposten sie entdecken können.
»Ist das Seil auch lang genug?«
»Lang plus zwei«, signalisierte Chirkhan ungeduldig, und er meinte damit, daß das Seil seiner Schätzung nach um zwei volle Menschenlängen länger als nötig war.
Mehr wollte der Krieger, der das Seil zum Grat hinaufgetragen hatte, gar nicht hören. Er ließ sich wie Chirkhan auf den
Weitere Kostenlose Bücher