Alteuropa-Trilogie 2 - Die Schmetterlingsgöttin
ungemein wichtig war, eine beeindruckte Miene aufzusetzen.
»Du hast natürlich recht wie immer, Rahan. Lederseile ziehen sich tatsächlich zusammen, aber sie gleiten auch leicht über eine rauhe Felsoberfläche, und deshalb werden wir, wie du bereits in weiser Voraussicht bemerkt hast, eine schöne, trockene Nacht für unseren Überfall abwarten müssen. Mit ein wenig Glück benötigen wir das Seil nur einmal!«
Zornschnaubend sprang Vlahan auf die Füße, wobei er Fett und Schaum in alle Richtungen verspritzte. Er riß einer der erschrockenen Konkubinen das Rasiermesser aus der Hand und schleuderte es auf Changar. Das Messer zischte haarscharf an Changars Ohr vorbei und ritzte seine Haut ein wenig. Der Angriff war nicht dazu gedacht zu töten; er sollte Changar nur angst machen, verfehlte jedoch seinen Zweck.
Changar saß vollkommen ruhig da, während er Vlahan auf eine Weise anstarrte, die diesem eine Gänsehaut verursachte. Laut Aussage der Gehilfen hatte Changar eine halbe Nacht damit zugebracht, sich auf dem Boden zu wälzen und wie eine Fledermaus zu tschilpen. Am nächsten Morgen sei er dann davongeritten, um die Rückseite der Klippen zu inspizieren.
Die Sache mit der Fledermaus kümmerte Vlahan herzlich wenig – von ihm aus konnte der Alte auch wie ein Hund bellen oder wie ein Frosch quaken, das war Vlahan völlig gleichgültig –, aber ihm gefiel der Gedanke nicht, daß Changar hinausgeritten war, um den Feind auszukundschaften. Der Häuptling war außer sich vor Neid, daß Changar einen so guten Plan ausgetüftelt hatte. Er konnte klappen, und wenn er tatsächlich von Erfolg gekrönt war, würde Changar viel zuviel Macht zufallen.
»Ich nehme an, der Große Han hat dir gesagt, ich solle meine Frauen anweisen, mein Zelt in Streifen zu zerschneiden und das Leder unserem Sieg zu weihen«, keifte Vlahan.
»Das wird nicht nötig sein, Rahan.« Changar verbeugte sich demütig, aber in seiner Stimme schwang ein triumphierender Unterton mit. »Es liegt reichlich genug Leder herum, und außerdem gibt es noch die Zelte geringerer Männer, was das betrifft.«
Vlahan marschierte zu seinem Zelt hinüber, griff nach einem Schlauch mit Kersek, zog den Stöpsel heraus und nahm einen ausgiebigen Schluck. Er strich sich mit einer Hand über seinen rasierten Kopf und warf Changar einen Blick zu, in dem eine Mischung aus Verachtung und Furcht lag. Soweit er sich erinnern konnte, war kein Wahrsager jemals Häuptling geworden, aber jeder so kluge und raffinierte Rivale wie Changar stellte eine Bedrohung dar. »Geringere Männer«, murmelte Vlahan. Er trank noch einen Schluck Kersek. »Ja«, wiederholte er, »geringere Männer.«
Am nächsten Morgen erwachte Changar vom Klang lauter weiblicher Stimmen. Als er aus seinem Zelt humpelte, sah er Vlahans Ehefrau Timak mit einem Messer in der Hand neben der Zeltwand stehen. Vier Konkubinen umringten sie, alle ähnlich bewaffnet.
»Guten Morgen, ihr verlaustes Rudel räudiger Hündinnen. Hat Vlahan euch hergeschickt, mich umzubringen?«
Timak lachte, wobei sie gelbliche, zu scharfen Spitzen abgefeilte Eckzähne entblößte. »Nein, Alter. Er hat uns hergeschickt, um ein Seil aus deinem Zelt zu machen.« Und noch bevor Changar den Mund öffnen konnte, seine Gehilfen herbeizurufen, damit sie die Frauen aus dem Weg schafften, hatten Timak und ihre Gefährtinnen bereits die Zeltstangen herausgezogen und sein Zelt auf dem Boden ausgebreitet; unverzüglich machten sie sich daran, das Leder in lange, dünne Streifen zu schneiden.
Das Wetter blieb schön während der nächsten drei Tage. In der Nacht des Neumondes bemerkten die sharanischen Wachtposten nichts Ungewöhnliches. Einer der Wachen gähnte und setzte sich an den Rand des Felsvorsprungs, um schläfrig auf die Lichter in der Ferne zu starren. Ihm fiel zwar auf, daß heute abend aus irgendeinem unerfindlichen Grunde nur im vorderen Teil des Nomadenlagers vereinzelte Feuer brannten – aber es kam ihm nicht in den Sinn, diese Beobachtung gegenüber irgend jemandem zu erwähnen. Was spielte es noch für eine Rolle, wo die Nomaden ihre Feuer entzündeten, nachdem sie die Stadt zerstört hatten, die er so liebte?
Jenseits des Feuerscheins bewegte sich etwas in der Dunkelheit, etwas Kompaktes und Vermummtes, das so gut wie kein Geräusch machte. Der junge Wachtposten konnte es nicht sehen, aber die Nomadenhunde konnten es, und sie kauerten sich auf den Boden, als es vorbeischlich.
Tatsächlich war es nicht nur ein
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