Alteuropa-Trilogie 2 - Die Schmetterlingsgöttin
Stich gelassen. Ergebt euch und reißt diese verabscheuungswürdige Scheußlichkeit von einem Tempel nieder; schlagt die Statuen eurer Schlampe von heiliger Mutter in Stücke.« Er zeigte zur Sonne hinauf. »Han, Gott des Leuchtenden Himmels, hat uns unseren Großen Häuptling zurückgegeben. Han, der Allmächtige, hat uns siegen lassen. Wir sind seine Wölfe, und wir wurden gebo‑
ren, um die Erde zu beherrschen und all ihre Völker. Ergebt euch, Sharaner, und wir werden euch als unsere Sklaven und Konkubinen am Leben lassen.«
Während die Sklavin seine Worte übersetzte, blickte Marrah Dalish und Hiknak an und ließ ihren Blick über die Gesichter ihres Volkes schweifen; dann wandte sie sich wieder nach vorn und sah Arang und Keru an. Sie hatten keine Wahl.
»Wie lautet deine Antwort?« schrie Changar. »Wollt ihr leben oder sterben?«
»Wir wollen leben«, erwiderte Marrah, und Changar stieß ein Triumphgeheul aus. »Aber wir werden uns nicht ergeben!« Changars Geheul verwandelte sich in einen Wutschrei, aber jetzt war Marrah an der Reihe. Worte, die sie vormals nie über die Lippen gebracht hätte, entsprangen ihrem Mund: »Wir wissen, was ihr den Gefangenen antut, die ihr gemacht habt; wir wissen, wie ihr eure Sklaven und Konkubinen behandelt. Euer Han ist kein Gott, er ist ein mordender Teufel, den ihr euch selbst erschaffen habt; hier oben auf den Klippen gibt es keinen Mann und keine Frau, die nicht lieber bis zum Tod kämpfen würden, als ihn anzubeten! Und ich schwöre bei der Süßen Göttin höchstselbst – wenn dieser Mann da meinen Sohn in den Abgrund fallen läßt, werden dich unsere Bogenschützen mit so vielen Pfeilen durchlöchern, daß dich selbst die Aasgeier nicht mehr fressen mögen! «
Plötzlich rührte sich Arang, der die ganze Zeit über reglos und schweigend danebengestanden hatte, und er begann ebenfalls zu schreien. »Marrah!« brüllte er auf sharanisch. »Ergebt euch nicht! Wir können immer noch gewinnen!« Die Nomaden verstanden zwar nicht, was er sagte, aber der Sinn seiner Worte war unschwer zu erraten.
Während Marrah hilflos zuschauen mußte, eilten zwei der Krieger vorwärts und schlugen ihn brutal mit ihren Speerschäften ins Gesicht. »Ich habe deine Vision endlich verstanden!« rief Arang. »Es ist nicht das Wasser – sondern die Muscheln!«
Seine Worte trafen Marrah wie eine Offenbarung. Die großen Fenster ihres Netzes taten sich vor ihrem geistigen Auge auf, und wieder sah sie das graugrüne Wasser, den Elritzenschwarm, den weißen Sand und die Muscheln vor sich.
Plötzlich begriff sie, was die Dunkle Mutter ihr zu sagen versucht, wonach sie ihr Inneres durchforstet hatte; die ganze Zeit über wartete es in ihrem Unterbewußtsein. Die Muscheln – natürlich! Wie hatte sie nur so blind sein können! Jedes Kind in Shara wußte, daß Muscheln um diese Jahreszeit giftig waren! Noch einen bösen Schlag ins Gesicht, dann einen auf den Mund, und Arang fiel besinnungslos zu Boden.
Changar drehte sich zu der Dolmetscherin um, die in stummem Entsetzen auf den blutüberströmten Mann zu ihren Füßen starrte. »Was hat er gesagt? « verlangte Changar zu wissen.
Die Sklavin blickte zu Marrah und den Sharanern hinauf –dann zu dem Mann hin, der über ihr weiteres Schicksal bestimmen würde, über ihren Tod oder ihr Leben. Sie schien kurz davor, vor Angst in Ohnmacht zu sinken; aber als sie sprach, geschah es mit einer klaren Stimme, die bis hinauf zur Spitze der Klippen schallte.
»Er hat gesagt, sie sollten sich ergeben; er sagte, sie wären Narren, wenn sie noch weiter kämpfen würden«, erklärte sie auf hansi, und dann wiederholte sie ihre Worte auf sharanisch, damit alle Bedrängten dort oben ihre List mitbekamen.
Changar – der kein Wort Sharanisch sprach – gab ein verächtliches Schnauben von sich. »Wenn ich gewußt hätte, daß er sie gedrängt hat, sich zu ergeben, hätte ich ihn weiterreden lassen.« Er verlor das Interesse an der Dolmetscherin und wandte sich wieder zu Marrah um. »Hast du gehört, daß euch der Große Häuptling befohlen hat zu kapitulieren?«
»Das habe ich ...« Sie blickte die Dolmetscherin an und fragte sich, was die Hansi ihrer Familie Schreckliches angetan haben mochten, um sie ein solches Risiko eingehen zu lassen. Ich danke dir, sagte sie in Gedanken zu der Frau. Möge die Göttin dich segnen. Dank dir hat Changar glücklicherweise keine Ahnung von Arangs wirklicher Aussage – obwohl er durchaus in der Lage wäre, es
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