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Alteuropa-Trilogie 2 - Die Schmetterlingsgöttin

Titel: Alteuropa-Trilogie 2 - Die Schmetterlingsgöttin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Mackey
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Wahrscheinlich wollten sie einfach nicht mehr einer nach dem anderen sterben, während sie sich an dem Seil herunterließen, oder es konnten ihnen auch endlich die Pfeile ausgegangen sein.
    Die Sharaner warteten bis zum Beginn der Morgendämmerung, aber keine weiteren Krieger versuchten, sich von dem Grat hinunterzuschwingen. Als die Sonne aufging, schien der Grat verlassen, doch keiner von ihnen traute dem Frieden. Die Klippen waren nicht mehr sicher. Von jetzt ab würden die sharanischen Wachen Tag und Nacht den Grat im Auge behalten müssen. Einen Teil des Lagers – den Teil, der in unmittelbarer Nähe des Klippenpfades lag und in Reichweite der feindlichen Pfeile – müßten sie aufgeben. Und was den Pfad selbst betraf, so kontrollierten die Nomaden jetzt sowohl die obere wie auch die untere Hälfte.
    Die Sharaner hatten mindestens sieben Nomaden getötet, aber beklagenswerterweise über ein Dutzend ihrer eigenen Leute verloren, einschließlich der alten Yintesa und Jutimas jüngster Schwester Trimata. Arang war dem Feind in die Hände gefallen und vermutlich nicht mehr am Leben. Zehn ihrer besten Bogenschützen lagen verwundet darnieder oder tot, und Jutima, die so tapfer gekämpft hatte, war von einem Pfeil in die Schulter getroffen worden und würde möglicherweise nie wieder einen Bogen spannen können.
    Aber am schmerzlichsten traf alle der Verlust von Lalah. Es stimmte immer traurig, wenn eine Königin starb, doch keine Königin in der Geschichte von Shara war jemals so gewaltsam oder so unnötig gestorben.
    Am Morgen nach der Schlacht zeigten sich Dunst und Wolken. Marrah saß neben der heiligen Quelle und beobachtete halb betäubt, wie sich die Priesterinnen und Priester um die Verwundeten kümmerten: Die Menschen stöhnten und klagten ringsum, während sie die Körper der Toten wuschen und ihnen die Haare kämmten.
    Sie hätte bei ihnen sein sollen, um den Kopf ihrer Großmutter an ihre Brust zu drücken und gemeinsam mit ihren Verwandten um Lalah zu weinen. Auch sie sollte mit ihnen Lalahs Güte preisen und die großen Ereignisse im Leben ihrer Großmutter mit lauter Stimme schildern, damit alle es hören und sich daran erinnern konnten.
    Das ziemte sich für eine pflichtbewußte Enkelin in normalen Zeiten. So hatten es alle Enkelsöhne und Enkeltöchter seit Generationen gehalten, bevor die Nomaden gekommen waren. Aber an diesem Morgen, als das gesamte Gewicht von Shara auf ihren Schultern lastete, hatte Marrah keine Zeit, um irgend jemanden zu trauern, nicht einmal um die geliebte Großmutter. Sie mußte einen Weg finden, ihre Leute zu schützen, denn inzwischen hatte sie nicht mehr nur das Amt der Kriegskönigin von Shara inne: Jetzt war sie das einzige Oberhaupt, das die Sharaner hatten.
    Die Stimmen hinter ihr schwollen an und ab in einem traurigen, gramvollen Chor:
    »Yintesa, Tochter der Priesterin Bunara . ..«
    »... von uns genommen, welch ein Jammer! «
    »Trimata, in der Blüte ihrer Jugend dahingerafft . ..«
    »Krendar, ein guter Mann, von den Nomaden getötet .. .« »Lalah, die mit der Güte einer Mutter regierte . ..«
    Marrah dachte an Dornen und Steine. Sie dachte an den schwarzen Rand von Donner, den leeren Moment zwischen Schlafen und Wachen, an das Rätsel des Todes, die Gewißheit von Verlust. Letzte Nacht hatten sie gewonnen. Sie hatten die Nomaden daran gehindert, das Lager zu stürmen, aber es war ein tragischer Sieg geworden, zu einem schrecklichen Preis erkauft.
    Nachdem Vlahan und seine Krieger nun den Grat kontrollierten, konnten sie die Sharaner jederzeit zum Kampf zwingen. Früher oder später, dachte Marrah, werden alle unsere Jäger getötet oder zumindest verwundet sein. Wenn es soweit war, würde keiner mehr übrig sein, um die Angreifer von dem Seil abzuschießen.
    Lalah, ihre geliebte Großmutter, und Arang, ihr lieber Bruder, waren bereits tot, und letzte Nacht hätte auch sie selbst ohne weiteres getötet werden können. Wenn sie sich nicht ständig in ihrem Zelt verkroch, wäre es nur eine Frage der Zeit, bevor sie selbst zur Großen Mutter heimkehrte. Aber wer sollte nach ihrer Vernichtung Königin von Shara werden? Bindar hatte keine Ahnung von der Verteidigung der Klippen; Dalish würde bis dahin wahrscheinlich ebenfalls tot sein und Hiknak desgleichen.
    Marrah saß schweigend da, von Verzweiflung und Kummer überwältigt, während sie auf den Klagegesang der Trauernden horchte und die volle Bitterkeit von Vlahans unvermeidlichem Triumph auf der Zunge

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