Alteuropa-Trilogie 2 - Die Schmetterlingsgöttin
den Rauch ihrer Feuer zu riechen.
Von dort aus huschten sie gleich weiter zum Nomadenlager. Der Mond war noch nicht aufgegangen, und die Sterne spendeten ein mattes, milchiges Licht, das ebensoviel verbarg, wie es enthüllte. Solange es über die verbrannten Felder ging, kamen sie rasch voran, doch in den Außenbezirken von Shara stolperten sie ständig über Steinhaufen, die einmal Häuser gewesen waren, und verkohlte Balken, die einst Dächer getragen hatten.
Allerdings durften sie keine Zeit mit Trauern über die geliebte, nun zerstörte Stadt vergeuden; die Nomaden hatten ihre Zelte in der Tat in unmittelbarer Nähe der Ruinen errichtet, und noch bevor sie viel weiter gegangen waren, wurden sie von dem ersten Wachtposten angerufen.
»Wer ist da?« rief der Krieger, und er hätte womöglich sofort Alarm geschlagen, wenn nicht Hiknak hastig eingesprungen wäre: »Nur Frauen.« Sie zogen sich ihre Tücher vors Gesicht und traten vor, damit der Mann sie sehen konnte.
Der Wachtposten musterte sie scharf, entdeckte wirklich nur die drei Frauen und senkte seinen Speer. »Was, in Hans Namen, fällt euch ein, mitten in der Nacht außerhalb des Lagers herumzuwandern?« verlangte er zu wissen.
»Wir haben die Männer bedient, die die Klippen bewachen«, erklärte Dalish. Das Wort »bedienen« bedeutete mehr, als nur Essen zu servieren, und bei dieser Auskunft entspannte der Wächter sich wieder. Es war durchaus einleuchtend, daß jemand drei Kon¬kubinen hinausschickte, um die Wachen zu unterhalten; er wünschte nur, jemand hätte ihm vorher Bescheid gesagt, weil er kurz davor gewesen war, die kleinste der Frauen mit seinem Speer zu durchbohren.
»Wem gehört ihr? «
Auch auf diese Frage waren sie vorbereitet und hatten eine Ant¬wort parat. »Vlahan«, erwiderte Hiknak mit todernstem Gesicht. Vlahan besaß natürlich die meisten Konkubinen – so viele, daß unmöglich jeder Aufpasser sie vom Sehen kennen konnte.
Der Posten sah beeindruckt aus. Kein Mann, dem sein Leben lieb war, würde sich an Konkubinen vergreifen, die Vlahan gehörten. »Macht, daß ihr weiterkommt«, knurrte er. »Und wenn ihr das nächste Mal das Lager verlaßt, um die Posten zu bedienen, dann meldet euch gefälligst vorher bei dem Wachhabenden und sagt ihm Bescheid.«
Hiknak versicherte ihm höchst unterwürfig, daß sie seinen Rat beherzigen würden, und er winkte sie weiter. Nachdem ihre Ver¬kleidungen den ersten Test erfolgreich bestanden hatten, bahnten sie sich einen Weg um den Rand des Lagers herum, wobei sie soviel Abstand wie möglich von Vlahans Revier hielten. Sein Zelt stand genau in der Mitte und war leicht zu erkennen an seiner weißen Farbe und der Übergröße.
Marrah fragte sich bang, ob Keru und Arang wohl in seinem Inneren schliefen; aber sie hütete sich, näher heranzugehen und einen Blick hinein zu wagen, denn es gab keinen Ort, wo sie eher Gefahr lief, erkannt zu werden.
Es war schon spät, und die meisten Lagerbewohner schliefen längst; aber wann immer sie jemandem begegneten, zogen sie sich ihre Kopftücher fest über Mund und Nase und senkten die Augen, wie es braven Konkubinen geziemte; da verschiedene Stämme in diesem Lager hausten, merkte niemand, daß sie Eindringlinge waren. Ihr Unternehmen war sehr viel gefährlicher als damals, als sie als Stavans Frauen verkleidet nach Shambah geritten waren; es verwunderte Marrah aufs höchste, wie leicht sie sich unbemerkt durch ein feindliches Lager bewegen konnten.
Wären sie Männer gewesen, hätten sie mittlerweile längst einen Dolch im Rücken gehabt, aber niemand schenkte ihnen besondere Beachtung – abgesehen von einem alten Krieger, der ihnen zurief, ihm Wasser zu bringen; Hiknak reichte ihm den Wasserschlauch, der an der Stange seines Zeltes hing, mit demütig niedergeschlagenen Augen.
Nach diesem kurzen Zwischenfall – der ihnen erneut bewußt machte, wie vorsichtig sie sein mußten – bewegten sie sich rasch durch die Lager von vier oder fünf Stämmen, jedes ein weniger schäbiger als das vorige; erst in der nordwestlichen Ecke fanden sie, genau wie Hiknak es vorausgesagt hatte, schließlich die Zaxtusi. Ganz am Rande des Zaxtusi-Lagers stand eine erbärmliche Ansammlung windschiefer, sturmzerzauster Zelte, die sich alle um ein kleines Feuer drängten. Hiknak formte mit den Lippen das Wort Sklaven, und sie blieben in der Dunkelheit stehen, um sich einen Überblick zu verschaffen.
Die Dolmetscherin war nirgendwo zu sehen, es saßen jedoch drei Frauen
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