Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Alteuropa-Trilogie 2 - Die Schmetterlingsgöttin

Titel: Alteuropa-Trilogie 2 - Die Schmetterlingsgöttin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Mackey
Vom Netzwerk:
Stavan oft stehengeblieben, um sich mit ihm zu unterhalten und ihm lustige Geschichten zu erzählen. Stavan hatte ihn niemals angebrüllt oder ihm mit Schlägen gedroht, wie es die anderen Krieger taten. Er war Werthan immer mit Freundlichkeit begegnet, und einmal hatte er sich sogar neben Werthan gesetzt und ihm gezeigt, wie man aus einem Grashalm eine Flöte machte.
    Werthan liebte auch Marrah. Natürlich war es eine unschuldige Liebe, denn er hatte niemals auch nur ein Wort mit ihr gewechselt, aber stets ihre Schönheit aus der Ferne bewundert. Man brauchte sie nur anzusehen, um zu wissen, daß sie nicht wie eine Hansi-Frau aufgewachsen war. Niemals schlug sie demütig die Augen nieder in Gegenwart eines Mannes und hatte sich direkt vor der Nase ihres Gemahls einen Liebhaber zugelegt.
    Wann immer Werthan an Marrah und Stavan dachte, hätte er am liebsten laut gelacht. Ihm gefiel die Tatsache, daß Marrah Vlahan betrog, der ein aufgeblasener, selbstgefälliger Widerling war. Insgeheim hatte er sie immer bemitleidet, weil sie gegen ihren Willen mit solch einem rohen Kerl verheiratet worden war. Marrah gehörte eindeutig zu den Frauen, die wußten, wie man es seinem Peiniger heimzahlte, eine Fähigkeit, die Werthan ganz einfach bewundern mußte.
    Über die beiden anderen Frauen, die sie jagten, wußte Werthan so gut wie gar nichts; aber er haßte den Gedanken an das, was die Krieger mit ihnen tun würden, wenn sie sie schließlich eingeholt hatten. Den Jüngling hatte es schon immer abgestoßen, mitanzusehen, wie Männer wie ein Rudel wilder Hunde über die Frauen herfielen, die sie gefangengenommen hatten. Obwohl er noch jung war, wußte er, daß die Vereinigung nur dann gut war, wenn beide Partner sie wünschten.
    Manchmal dachte er, daß die Götter die Frauen vielleicht deshalb körperlich schwächer erschaffen hatten, damit die Männer Mitgefühl und Selbstbeherrschung lernen würden. Dies war ein ziemlich radikaler Gedanke für einen Hansi-Krieger und keiner, den er irgend jemandem mitzuteilen bereit war; es hätte ihn zum Gespött des ganzen Lagers gemacht, was ihn nicht daran hinderte, im stillen daran festzuhalten.
    Als der Morgen graute, begann der Sturm abzuflauen. Bald war die körperlose Stimme, die unaufhörlich von Ehre und Rebellion flüsterte, so schwach geworden, daß sie nicht lauter als zwei Grashalme tönte, die sich aneinanderreiben, oder als ein Kaninchen, das in seinen Bau schlüpft. Aber während sie durch weiche Schneewehen ritten, die das Hufgetrappel ihrer Pferde dämpften, hörten die drei Krieger sie dennoch, und Werthan vernahm sie am deutlichsten.
     
    Eine Strecke weiter voraus lag Marrah schlafend auf dem Boden, unter einem Berg von Schnee vor dem Sturm und der Kälte geschützt. Als die Morgendämmerung nahte, begann die Finsternis um sie herum zu weichen, und ein blasser, kalter Schein füllte die Schneehöhle. Das Licht war grau und winterlich; es verlieh ihrer dunklen Haut einen eisigen Schimmer und berührte ihre vollen Lippen mit Frost. Ihr langes, schwarzes Haar glänzte in der fahlen Beleuchtung, und jedes Fellhärchen am Saum ihres Umhangs aus Wolfspelz hob sich so scharf ab wie die Zinken eines Kammes. Es war warm unter dem Umhang, und von der Wärme wohlig eingelullt träumte Marrah von ihrer Mutter.
    In ihrem Traum war Marrah jedoch keine Frau, die um ihr Leben rannte, sondern ein Mädchen von dreizehn Jahren. Den kalten Schnee, die einsame Steppe und die gefährlichen Verfolger gab es nicht mehr; sie befand sich wieder in dem kleinen Dorf Xori an der Küste des Meeres der grauen Wogen, wo sie ihre Kindheit verbracht hatte, und saß auf einer Strohmatte im Langhaus ihrer Urgroßmutter Ama, mit dem prächtigen federbesetzten Cape um die Schultern, das sie am Tag ihrer Volljährigkeit getragen hatte. Es war ein herrlicher Frühlingsmorgen, die Vögel zwitscherten, und sie trank eine Schale warmer Ziegenmilch und aß Erdbeeren.
    »Hier, iß noch eine köstliche Erdbeere, mein Liebling«, sagte ihre Mutter immer wieder, und dabei fütterte sie Marrah liebevoll mit reifen Beeren, die sie zuvor in Winterhonig getaucht hatte, so dick und dunkel, daß seine Süße wie ein Kuß auf Marrahs Zunge zerschmolz.
    Marrah lachte. »Gib mir noch eine, Mama«, bat sie. Marrahs Mutter lachte ebenfalls und hielt eine besonders große, saftige Beere hoch, während sie sie am Stengel hin- und herdrehte. Marrah öffnete den Mund, legte den Kopf in den Nacken und schloß erwartungsvoll die

Weitere Kostenlose Bücher