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Alteuropa-Trilogie 2 - Die Schmetterlingsgöttin

Titel: Alteuropa-Trilogie 2 - Die Schmetterlingsgöttin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Mackey
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ihnen zusammengebrochen wären, wenn sie dieses Tempo so lange beibehalten hätten. Schließlich zügelte Stavan seinen Hengst, und der Rest von ihnen tat es ihm nach. Einen Augenblick warteten sie mucksmäuschenstill, wagten kaum zu atmen. Marrah blickte von Gesicht zu Gesicht und fühlte, wie sich dieser Moment für immer in ihr Gedächtnis einprägte – wie Bilder, die man auf einen Tontopf einbrennt.
    Hiknak hatte ihren Hut verloren, und ihr schmutziges blondes Haar hing wirr um ihre Schultern. Arangs untere Gesichtshälfte war so von Schnee verkrustet, daß es aussah, als trüge er einen Bart, obwohl er mit dreizehn noch zu jung dafür war. In Dalishs Lippen hatte die Kälte Risse und Sprünge gegraben, und sie war totenbleich, daß die eintätowierten blauen Linien auf ihren Wangen wie Spalten im Eis aussahen. Und was Stavan betraf – er saß so reglos im Sattel wie eine Tempelstatue. Sein helles Haar lag flach um seinen Kopf, seine Augen waren hart; sein Bart schien aus Stein gemeißelt. Nichts an ihm bewegte sich, nicht einmal eine Wimper zuckte.
    »Ich kann die Hunde nicht mehr hören«, flüsterte Dalish. Doch noch während sie die Worte aussprach, erhob sich erneut das Gebell des Rudels in der Ferne.
    »Hier entlang!« kommandierte Stavan. Und wieder flohen sie in halsbrecherischem Tempo, galoppierten zuerst in Richtung Osten, dann nach Norden, dann wieder nach Osten. Diesmal ritten sie doppelt so lange wie beim ersten Mal, und als sie schließlich anhielten, um auf ihre Verfolger zu lauschen, hörten sie nichts als das Heulen des Windes über hohen Schneewehen.
    »Wir haben sie abgeschüttelt! « jubelte Arang, aber alle wußten, daß die Gnadenfrist nur von kurzer Dauer sein würde. Jeden Moment konnte das Bellen der Hunde wieder ertönen und sie zum Weiterrasen zwingen; als Marrah einigermaßen zu Atem gekommen war und sich genügend beruhigt hatte, um sich umzusehen, stellte sie fest, daß es zu schneien aufgehört hatte. Die Hufabdrücke ihrer Pferde waren tief, gestochen scharf und so breit wie ein Pfad. Selbst ein Blinder hätte der Spur zu folgen vermocht.
    Dalish schaute zum Himmel hinauf, dann ließ sie ihren Blick über das riesige, flache, weiße Laken schweifen, das sich ringsherum ausdehnte. »Was tun wir jetzt?« fragte sie Stavan, der als einziger von ihnen in der Kunst von Angriff und Verteidigung ausgebildet war. Stavan hatte einst zu den Hansi-Kriegern gehört, und obwohl er den Krieg um seiner Liebe zu Marrah und der Göttin Erde willen aufgegeben hatte, kannte er sämtliche Listen und Finten der Hansi.
    »Wir werden weiterreiten«, erwiderte er, »und hoffen, daß sie unsere Fährte nicht wieder aufnehmen.«
    »Ich wette, wir haben sie abgeschüttelt«, beharrte Arang und wischte sich die Nase an der Oberseite seines Fausthandschuhs ab. Marrah sah die Hoffnung in den Augen ihres Bruders, sah das feingeschnittene Gesicht mit den hohen Wangenknochen, die elegante Art, wie er auf dem großen, breitrückigen Rotschimmel saß, und sie spürte ein leises Gefühl von Trauer. Arang besaß den Körper eines Tänzers. Als Zuhan, der Große Häuptling, ihren Bruder adoptiert und zum Erben aller Zwanzig Stämme ernannt hatte, ritzten die Hansi Clanzeichen in seine Wangen – ein Ritual der Ehre – und prügelten ihn dann halb bewußtlos in dem Versuch, einen Krieger aus ihm zu machen; aber es gelang ihnen nicht, seinen Geist zu brechen oder seiner Seele die Musik auszutreiben. Einen Moment wünschte Marrah sich, sie wäre wieder so jung wie Arang – denn wenn man so jung war, glaubte man noch, alles wäre möglich.
     
    Den Rest des Tages über ritten sie langsamer, um ihre Pferde möglichst zu schonen. Bei Einbruch der Dämmerung ging die Sonne in einem feurigen Kaleidoskop von Rottönen unter, die dem Schnee die Farbe von Rosenblüten verliehen. Marrah beschlich der beklemmende Gedanke, wie klar sie für ihre Feinde sichtbar waren, während sie sich über den aufleuchtenden Schnee bewegten wie Ameisen auf einem Stück gefärbten Leinens. Der rötliche Schimmer war kaum am Himmel verblaßt, als auch schon der Mond aufstieg, so rund und voll, daß es schien, er würde umgehend in zwei Hälften zerbrechen. Als sie über die Steppe ritten, strahlte er wie eine zweite Sonne auf sie herab.
    Marrah hatte den Vollmond immer geliebt. Jeden Monat fühlte sie, wie Mondenergie sie durchströmte. Die märchenhelle, silbrige Scheibe erregte sie, und sich im Mondschein zu lieben war eines der Dinge, die

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