Alteuropa-Trilogie 3 - Das Lied der Erde
zusammen kämpfen. Wenn sie etwas Unausgesprochenes zwischen sich stehen ließen, könnte es das Vertrauen zerstören, das die Nattern zusammenschweißte. Luma hatte schon einmal miterlebt, wie dieses Vertrauen dank Keshna beinahe gebrochen worden wäre, und sie würde nicht zulassen, daß das wieder passierte.
Sie schlang Kandar die Arme um den Hals, schmiegte ihre Wange an seine Brust, holte tief Luft und erzählte ihm von ihrem Traum. »Sag mir die Wahrheit«, bat sie, als sie fertig war. »Bin ich wirklich die falsche Frau? War mein Traum richtig? Hast du dabei die ganze Zeit an Keshna gedacht?«
»Ich habe tatsächlich an Keshna gedacht«, gestand Kandar. Sie wünschte, er wäre nicht so verdammt aufrichtig, aber sie hatte ihre Antwort. Abrupt setzte sie sich auf, schüttelte die letzten Blätter von sich ab, griff nach ihrer Tunika und schenkte ihm ein Lächeln, das keinerlei Zuneigung erkennen ließ.
»Laß uns aufstehen. Ich habe Hunger, und wir sollten uns auf die Suche nach etwas Eßbarem machen.«
»Warte einen Moment«, sagte Kandar und legte ihr eine Hand auf die Schulter. »Ich bin noch nicht fertig. Ich habe wirklich an Keshna gedacht, das gebe ich zu. Aber nicht die ganze Zeit und so, wie du wahrscheinlich denkst. Was ich gedacht habe, war, daß es immer traurig war, mit Keshna Liebe zu machen. Aber mit dir war es ... beglückend. Dich zu berühren hat sich richtig angefühlt, Luma. Es hat sich angefühlt wie etwas, das wir schon vor langer Zeit hätten tun sollen. Ich mache mir große Sorgen um Keshna, das weißt du. Wir sorgen uns beide um sie. Ich wünsche mir, daß Keshna gesund und wohlbehalten ist; aber wenn du mich fragst, ob ich sie noch liebe, dann lautet die Antwort: nein. Ich liebe sie schon lange nicht mehr, nicht wirklich. Keshna hat in meinem Herzen und in meinen Knochen nichts als Eis hinterlassen. Aber als wir beide, du und ich, uns geliebt haben, ist dieses Eis ... geschmolzen.«
Er lachte. »Hör mir zu. Ich weiß, ich klinge wie ein Sänger von drittklassigen Liebesliedern. Ich bin im Umgang mit Worten nicht so geschickt wie du. Wenn ich auszudrücken versuche, was mich tief in meinem Inneren bewegt, fange ich meistens an zu stottern.« Er nahm ihre Hand und hielt sie fest. »Aber das hier ist echt. Meine Gefühle für dich sind nicht nur die Laune eines Augenblicks. Wenn du jetzt aufstehen und vergessen willst, daß wir jemals Lust geteilt haben, dann ist das deine Entscheidung, und ich werde mich damit begnügen, nichts weiter als dein Kamerad zu sein. Aber wenn du gern noch einen Kuß haben möchtest und noch einen« – er strich ihr zärtlich über die Wange – »und noch unzählige weitere Küsse, ich glaube, dann könnten wir sehr glücklich werden.«
Kandars Prophezeiung bewahrheitete sich sehr schnell. Sie waren tatsächlich sehr glücklich: glücklich, als sie sich zum zweiten Mal in der warmen Morgensonne liebten, glücklich, als sie ohne Frühstück aufstanden, um den Einbaum wieder herumzudrehen, glücklich, als sie Muscheln aus dem Sand gruben und sie über der Glut des Feuers garten, und glücklich, als sie drei Hände voll Brombeeren aßen und sich wie Kinder gegenseitig den Saft von den Fingern leckten. Sie waren sogar glücklich, als sie sich daranmachten, sich neue Paddel zu schnitzen, obwohl es sehr lange dauerte, das Holz nur mit einem einzigen Messer zu bearbeiten, und die Sonne bereits hoch am Himmel stand, als sie endlich damit fertig waren.
Als sie vom Strand wegpaddelten, blickte Luma noch einmal zurück und dachte, daß sie diesen Ort noch lange Zeit in Erinnerung behalten würde. Dort am Strand hatte sie, in Kandars Armen liegend, für eine Weile vergessen können, warum sie nach Shara zurückeilten. Sie hatte einen Vormittag lang Frieden gefunden. Ihre Gedanken waren zur Ruhe gekommen, und sie hatte erfahren, wie es war, die pure Freude darüber zu fühlen, in der Gesellschaft des Menschen zu sein, den sie liebte. Sie wußte, daß es wahrscheinlich nicht viele Vormittage wie diesen geben würde. Die Zeit, die sie gerade mit Kandar verbracht hatte, war ein Geschenk gewesen, und sie war dankbar dafür.
In stillschweigendem Übereinkommen blieben sie in unmittelbarer Nähe des Ufers und folgten den Einbuchtungen der Küste. Das Wetter war sonnig und heiß, doch die beiden trauten dem Frieden nicht. Luma suchte beständig den Horizont nach Anzeichen eines herannahenden Unwetters ab. Jedesmal wenn der Wind kräftig genug wehte, um die
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