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Alteuropa-Trilogie 3 - Das Lied der Erde

Titel: Alteuropa-Trilogie 3 - Das Lied der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Mackey
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aber es existiert schon lange nicht mehr ...«
    »Willst du damit etwa sagen, daß mein Bruder in den Mutterländern ist?« Luma sprang auf die Füße, rannte auf Bagnak zu und umarmte sie stürmisch. »Du wundervolle Frau! Du gesegnete Überbringerin froher Botschaften! «
    »Moment, warte«, warnte Keshna sie. »Laß sie erst zu Ende sprechen. Leider hat sie nicht nur erfreuliche Nachrichten. Keru sitzt nämlich nicht einfach nur am Flußufer und läßt die Füße im Wasser baumeln. Er ist Nomadenhäuptling geworden – zugegeben, das ist keine große Überraschung; wir hatten ja schon etwas Derartiges befürchtet –, aber es kommt noch schlimmer. Er ist auch ...«
    »... Pirat«, soufflierte Bagnak und löste sich aus Lumas Umarmung.
    Das Wort klang nach Hansi, aber Luma hatte keine Ahnung, was es bedeutete. »Was ist ein Pirat?« wollte sie wissen.
    Bagnak schüttelte den Kopf. »Du lebst schon zu lange im Süden. An den Ufern des Rauchflusses weiß jeder, was ein Pirat ist, nämlich ein Mann, der die Flußhändler bestiehlt. Natürlich nennt Keru es nicht Diebstahl. Er ist ein Häuptling, deshalb nennt er es ›Tribut einfordern‹, aber es läuft auf das gleiche hinaus. Jedesmal wenn ein Händlerboot den Fluß entlangfährt, beschlagnahmt er ein Drittel seiner Fracht; und jedesmal wenn ein Händler zu Fuß oder zu Pferd die Furt überqueren will, nimmt er ihm ebenfalls ein Drittel dessen weg, was er bei sich trägt. Er würde den Händlern am liebsten alles wegnehmen, aber wenn er das täte, würden sie keinen Handel mehr treiben, und er will ja, daß sie immer wieder in die Gegend zurückkommen.«
    Lumas Hochstimmung verflog schlagartig. Keru war ein räuberischer Nomadenhäuptling! Jahrelang hatte sie sich ausgemalt, wie sie ihn retten und nach Hause bringen würde, aber wenn das, was diese Frau gerade eben gesagt hatte, stimmte, dann kam vielleicht jede Rettung zu spät.
    »... kein sonderlich guter Häuptling«, sagte Bagnak gerade, und Luma begriff, daß sie in ihrer Bestürzung darüber, daß Keru ein Dieb geworden war, etwas Wichtiges überhört hatte.
    »Kannst du das bitte wiederholen?«
    Bagnak zuckte die Achseln. »Ich kann alles wiederholen, was du willst. Ich habe gerade gesagt, daß Keru, abgesehen davon, daß er von den Händlern Tribut fordert, kein sonderlich guter Häuptling ist. Er tötet nicht gern, und das läßt ihn als Schwächling erscheinen. Ich habe seine eigenen Männer Witze darüber reißen hören, daß er den Körper eines Mannes, aber das Herz einer Frau habe. O sicher, er ist überaus mutig – daran besteht kein Zweifel –, aber er erlaubt seinen Kriegern nicht, lediglich aus Freude am Töten zu töten. Kein Abschlachten unbewaffneter Leute, keine brutalen Vergewaltigungen. Er gestattet seinen Männern zwar, sich Konkubinen zu nehmen, und er selbst hat ebenfalls Konkubinen; aber wenn sich eine Frau beklagt, daß sie schlimm verprügelt wurde oder daß man ihr sonst irgendwie Gewalt angetan hat, bestraft er den Schuldigen. Ich habe miterlebt, wie er einem seiner besten Krieger die Ohren abschnitt, weil der Mann seine eigene Ehefrau vergewaltigt hatte. Jeder andere Häuptling hätte es für unter seiner Würde gehalten, von einem solchen Vorfall überhaupt Notiz zu nehmen. Keru respektiert Frauen auf seine Weise; ich würde seine Achtungsbezeugungen nicht unbedingt perfekt nennen, aber er hält seine Männer in Schach, und er hat mir das Leben gerettet, obwohl ich nur eine Konkubine war und noch dazu eine kranke.«
    »Wenn Kerus Krieger Witze über ihn reißen«, warf Keshna ein, »und er sie für Vergewaltigung bestraft, warum rebellieren sie dann nicht? Warum ermorden sie ihn nicht und setzen einen anderen Häuptling an seine Stelle? Ich habe noch nie von einem Nomadenlager gehört, in dem nicht ständig Verschwörungen ausgeheckt werden.«
    »Sie bringen ihn nicht um, weil sie ihn lieben. Keru überläßt seinen Männern fast den gesamten Tribut, den er von den Händlern fordert, statt die Beute für sich selbst zu behalten. Er ist gerecht und unbestechlich; er ißt aus demselben Topf wie seine Männer und schläft neben ihnen. Wenn seine Krieger in den Kampf reiten, reitet er an der Spitze des Trupps, und sie wissen, daß er bereit ist, für sie zu sterben. Und außerdem gibt es da noch den Fluch.«
    Bagnak räusperte sich unsicher und wandte sich zu Luma um. »Changar hat jeden, der es wagt, deinem Bruder auch nur ein Härchen zu krümmen, mit dem kalten Fluch belegt.

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