Alteuropa-Trilogie 3 - Das Lied der Erde
unter seinen Füßen tatsächlich als den Körper seiner Mutter«, erklärte Urmnak. »Seltsam, nicht? Sich den Körper seiner Mutter als eine Handvoll Schmutz vorzustellen.«
Luma fand das natürlich überhaupt nicht seltsam. Sie war erleichtert zu erfahren, daß Keru sich noch daran erinnerte, daß die Erde seine Mutter war, doch als sie versuchte, den Konkubinen dies zu erklären, starrten die sie nur verständnislos an und murmelten ein paar höfliche, nichtssagende Worte.
Eines Abends kam Keru mit einem Welpen, der aus dem Halsausschnitt seiner Tunika herausschaute. »Ich bringe euch euer Abendessen«, verkündete er. Er packte das Tierchen am Nackenfell und zog das zappelnde, völlig verängstigte Bündel aus seiner Tunika. Der Welpe war ein Rüde, nicht größer als seine Hand, mit weichem, braunem Fell, einem weißen Bauch, dunklen Augen, zierlichen Ohren und einer kleinen schwarzen Nase, die in panischer Angst zuckte. »Zieht ihm das Fell ab, steckt ihn auf einen Spieß, bratet ihn langsam über dem Feuer, und ihr habt einen zarten, saftigen Happen Fleisch.«
Luma und Keshna starrten den Welpen an. Keine von ihnen konnte sich vorstellen, das arme kleine Geschöpf zu essen, doch bevor sie wußten, wie sie das Angebot höflich ausschlagen sollten, brach Keru in schallendes Gelächter aus.
»War doch nur ein Scherz«, sagte er. »Er ist nicht als Abendessen gedacht. Wenn ihr wollt, könnt ihr ihn als Haustier haben. Ich dachte, ihr seid vielleicht ein bißchen einsam, und Frauen mögen doch Haustiere.«
Sie nahmen den Welpen mit Freuden, erleichtert, daß Keru ihn nicht als Braten geopfert hatte. Keshna taufte den Hund »Kläffer«, sie behauptete, das sei das einzige, was er tue. Kläffer war so jung, daß sie sich zuerst nicht sicher waren, ob er schon getrennt von seiner Mutter leben konnte, aber sie streichelten ihn, hielten ihn warm und fütterten ihn, indem sie einen Lappen in Milch tauchten und ihn daran saugen ließen. Und bald tappte er unbeholfen im Zelt herum, fraß aus ihren Schüsseln und nagte an allem, was er finden konnte, außer an ihren Bögen, Speeren und Stiefeln, die sie ein gutes Stück außerhalb seiner Reichweite aufhängten.
Keru versäumte es nie, einen Teil des Abends mit ihnen zu verbringen, aber er blieb nie lange. Früher oder später pflegte er sich von seinem Platz zu erheben, sie auf beide Wangen zu küssen, ihnen eine gute Nacht zu wünschen und hinauszugehen. Zuerst hatten Luma und Keshna angenommen, er gehe zu seinem eigenen Zelt zurück, um die Nacht mit seinen Frauen zu verbringen, aber die Konkubinen erklärten ihnen, daß er zuerst zu Changar gehe, um nach ihm zu sehen.
»Wie freundlich von ihm, soviel Zeit mit einem kranken alten Mann zu verbringen«, meinte Luma, in der Hoffnung, ihnen weitere Informationen zu entlocken, aber Urmnak stieß Chamnak in die Seite, und sie klappten die Münder zu wie Schnappschildkröten.
Keshna war sehr viel direkter. Als Keru das nächste Mal zu Besuch kam, fragte sie ihn geradeheraus, was in Hans Namen er jeden Abend in Changars Zelt tue.
»Ich kümmere mich um ihn«, erwiderte Keru.
»Und was heißt das?«
»Das heißt, daß ich ihm sein Essen gebe, ihn wasche und ihn nach draußen trage, damit er sich erleichtern kann. Was soll ich denn deiner Ansicht nach tun, Cousine? Meinen armen, hilflosen alten Onkel in den Fluß werfen?«
Keshna hielt das zweifellos für eine ausgezeichnete Idee, aber sie war ausnahmsweise einmal so klug, ihre Meinung für sich zu behalten.
Nach dieser Unterhaltung verließ Keru Lumas und Keshnas Zelt früher als gewöhnlich. Als er Changars Zelt betrat, hatte Rimnak gerade das Abendessen gebracht und war dabei, es auf einem sauberen Tuch auszubreiten. Es gab einen Korb mit einem heißen Schmorgericht, in dem das Pferdefleisch in sehr kleine Stücke zerschnitten war, eine Schale mit gedickter, mit Honig gesüßter Milch und getrockneten, zu einem glatten Brei zerstampften Beeren. Keru inspizierte die Speisen und nickte anerkennend. Rimnak war seine Lieblingskonkubine. Sie war nicht nur erfreulich eifrig im Bett, sondern auch eine sehr viel bessere Köchin als Urmnak oder Chamnak. Da Onkel Changar kaum noch Zähne hatte, war es wichtig, daß sein Essen aus Zutaten bestand, die leicht zu kauen und zu schlucken waren.
Keru entließ sie mit einer wortlosen Geste. Als Keru und Changar alleine waren, fragte Keru den alten Mann, ob er hungrig sei, und Changar sagte ja, und so fütterte Keru ihn.
Heute
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