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Alteuropa-Trilogie 3 - Das Lied der Erde

Titel: Alteuropa-Trilogie 3 - Das Lied der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Mackey
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schlugen. Innerhalb eines halben Tages hatte sich ihr Benehmen völlig verändert; statt sie als Fremde zu betrachten, behandelten sie sie jetzt wie die Schwester des Häuptlings. Luma nahm an, daß sie Changar dafür danken mußte.
    Im Inneren des Zelts lag Keru gegen einen Stapel von Kissen gestützt und trank aus einem Krug mit Wein. Urmnak und Chamnak huschten geschäftig um ihn herum und umsorgten ihn, und auf einem kleinen Feuer schmorte ein Stück Rindfleisch. Einen Moment lang stand Luma unbemerkt neben dem Eingang und beobachtete, wie Chamnak Keru etwas in einer hölzernen Schale brachte. Keru sah sehr bleich und zutiefst niedergeschlagen aus –zweifellos wegen Keshna –, aber abgesehen davon machte er auf den ersten Blick den Eindruck, als wäre er schon wieder auf dem Wege der Besserung.
    Doch je länger Luma ihn musterte, desto deutlicher sah sie, daß das nicht der Fall war. Seine Lippen waren trocken und aufgesprungen, und sein Atem ging in kurzen, rasselnden Stößen. Die Frauen hatten ihm seine Tunika vom Körper geschnitten, sie lag in einem blutdurchtränkten Bündel neben ihm, und auf den Decken, den Kissen und dem Verband, der seine Brust bedeckte, war noch mehr Blut.
    Plötzlich blickte Keru auf und sah Luma im Schatten stehen. »Luma!« keuchte er. Seine Stimme war ein rasselndes, atemloses Krächzen. Urmnak und Chamnak zuckten erschrocken zusammen und wandten sich zu Luma um. Wieder stieß Keru ihren Namen hervor; und dann war Luma neben ihm und hielt ihn umschlungen und legte ihm beschwichtigend die Finger auf die Lippen.
    »Nicht sprechen«, warnte sie ihn. Sie wußte sofort, was passiert war: Der Dolch hatte seine Lunge durchstoßen, und sie war kollabiert. Jeder Atemzug, den er machte, war nur ein halber Atemzug, und er mußte mühsam nach Luft ringen.
    Er lehnte sich in ihren Armen zurück und ließ sich von ihr halten. »Keshna ...«
    Sie küßte ihn auf die Stirn und streichelte sein Haar. »Ja«, erwiderte sie. »Ja, ich weiß. Keshna. Ich weiß. Ach, Keru, es tut mir so unendlich leid. Für dich, für sie, für mich ...« Ihr wurde bewußt, daß sie schließlich doch kurz davor war, in Tränen auszubrechen, aber sie durfte Keru unter keinen Umständen noch mehr aufregen, als er ohnehin schon war. Sie zwang sich, ruhig zu sprechen. »Wir werden später über Keshna reden. Jetzt möchte ich erst einmal einen Blick auf deine Wunde werfen.« Sie machte sich daran, den Verband abzunehmen, während sie weitersprach, um Keru abzulenken. Denn es würde weh tun, auch wenn sie noch so behutsam vorging. Das Blut war geronnen, und der Verband klebte an der Wunde fest.
    »Mutter hat mich als Heilerin ausgebildet, hast du das gewußt? Zumindest hat sie es versucht. Ich wollte immer Kriegerin werden, aber sie hat nie aufgegeben. Jetzt wünschte ich, ich hätte damals besser aufgepaßt, als ich die Chance hatte, etwas zu lernen.« Mit einer kurzen, geschickten Bewegung zog sie den Verband ab und legte Kerus Verletzung frei. Er zuckte zusammen und biß sich auf die Lippen.
    Luma beugte sich vor und starrte ungläubig auf das Loch in seiner Brust. Sag mir, daß ich nicht wirklich sehe, was ich zu sehen glaube. Sag mir, daß ich mich irre. Dort, direkt in dem Loch in Kerus Lunge, klebte ein blutdurchtränkter Bausch ungesponnener Schafwolle. Urmnak und Chamnak hatten ihn wahrscheinlich dort hineingeschoben, um die Blutung zum Stillstand zu bringen, was auch durchaus in Ordnung gewesen wäre, hätte es sich um eine gewöhnliche Stichwunde gehandelt. Aber hier bahnte sich eine Katastrophe an. Keru konnte leicht kleine Wollfäden in seine durchlöcherte Lunge einatmen, wo sie zu eitern anfangen würden.
    Sie blickte auf und sah, wie er ängstlich ihr Gesicht musterte. Er durfte nicht merken, wie beunruhigt sie war. Sie nickte ihm ermutigend zu, murmelte, daß die Wunde gut und sauber aussähe – was eine Lüge war –, und holte den Wollbausch aus dem Loch. Er löste sich als blutdurchtränkter Klumpen und ließ kleine Wollfasern zurück, die wie Spinnweben in dem geronnenen Blut klebten. Die Wunde sah schlimm aus. Tlanhan hatte seinen Dolch geradewegs in die untere Hälfte von Kerus linkem Lungenflügel gestoßen, und der war jetzt zum größten Teil kollabiert. Es war nur wenig neues Blut geflossen, aber jedesmal wenn Keru einatmete, war ein saugendes Geräusch zu hören. Luma wußte, wenn sie irgendeinen Weg finden könnte, um das Loch zu verstopfen, würde sich seine Lunge wieder mit Luft füllen,

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