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Alteuropa-Trilogie 3 - Das Lied der Erde

Titel: Alteuropa-Trilogie 3 - Das Lied der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Mackey
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gehört hatte.
    »Mutter?« wiederholte er.
    Einen Moment lang war sie unendlich glücklich. »Ja, ja, Keru, mein Liebling«, sagte sie und griff wieder nach seiner Hand. »Ja, ich bin hier.« Aber wenn er sie erkannt hatte –, dann hatte sie den Augenblick verpaßt. Er blickte sie verwirrt an, entzog ihr seine Hand, griff nach einem Zipfel der Decke und zog sie sich bis zum Hals herauf. Schließlich drehte er sich zitternd auf die Seite. Seine Zähne schlugen klappernd aufeinander, und seine Augen flackerten wie im Delirium.
    »Und dann«, stieß er hervor, »fing mein Pferd plötzlich an zu lahmen, das Pferd, das Onkel Changar mir geschenkt hat, und mein Hund lief weg.«
    Bei Changars Namen zuckte Marrah zusammen, doch Keru verweilte nicht länger bei diesem Thema. Er fuhr nur fort, zwischen zusammengebissenen Zähnen zusammenhanglos vor sich hin zu murmeln – hier ein Wort und da ein Wort. Marrah versuchte, seine Worte durch bloße Willensanstrengung dazu zu zwingen, einen Sinn zu ergeben, aber sie taten es nicht. Mehrmals sagte er etwas von Pferden und hohem Gras, deshalb nahm sie an, daß er sich in der Steppe wähnte.
    Die Macht des Fiebers erschreckte sie zu Tode. In den etwas mehr als zwanzig Jahren, die sie als Heilerin wirkte, hatte sie zu viele solcher schweren Fieberzustände gesehen. Wäre Keru ein Pilger gewesen, der nach Shara gekommen war, um geheilt zu werden, dann hätte sie seiner Familie mitteilen müssen, daß keine große Hoffnung mehr bestand. Aber sich selbst konnte sie das nicht sagen. Sie ertrug nicht einmal den Gedanken daran.
    Marrah verdrängte ihre Furcht, öffnete ihren Medizinbeutel und sagte sich, sie sei noch rechtzeitig gekommen, um ihn zu retten. Sie entnahm dem Beutel ein kleines Tonfläschchen, zog den Stöpsel heraus und roch prüfend daran. Nachdem sie sich vergewissert hatte, daß es Eisenhut enthielt und nicht etwas anderes, vermischte sie ein paar Tropfen mit Honig, strich die Paste auf Kerus Lippen und überredete ihn, es abzulecken, was er mit überraschender Fügsamkeit tat. Als er den Eisenhut zu sich genommen hatte, kochte sie Eichenrindentee und stellte ihn zum Abkühlen beiseite.
    Während der Tee abkühlte, saß Marrah neben ihrem Sohn und wusch ihn mit lauwarmem Wasser. Ihre Berührung schien ihn zu beruhigen. Vielleicht hatte sie sich geirrt, vielleicht wußte er, wer sie war, aber sie konnte sich nicht sicher sein. Er hatte sie auf sharanisch »Mutter« genannt, doch jetzt murmelte er nur auf Hansi. Einmal sagte er »Wasser«, und sie gab ihm zu trinken. Ein andermal murmelte er »kalt«, und sie zog noch eine weitere Decke über ihn; und einmal sagte er leise »danke«, und sie drückte ihm einen Kuß auf die Stirn.
    Ganz gleich, ob er sie nun erkannte oder nicht, sie gestattete sich, sich vorzustellen, daß er wußte, wer sie war. Während sie seine Stirn wusch, seine Wunde säuberte und frisch verband und ihm in kleinen Schlucken Tee einflößte, sagte sie ihm all die Dinge, die sie ihm seit vierzehn Jahren hatte sagen wollen. Sie sagte ihm, daß sie ihn liebte, daß sie ihn schmerzlich vermißt und unermüdlich nach ihm gesucht hatte, und daß kein Tag vergangen war, an dem sie nicht an ihn gedacht hatte. Sie nannte ihn bei seinen alten Kosenamen »Kaykay« und »Liebling« und »mein Baby« und entschuldigte sich sogar bei ihm, daß sie eine schlechte Mutter gewesen war. Wäre er gesund gewesen, hätte sie niemals derart vertraute Dinge zu ihm sagen oder ihn wie ein Kind behandeln können. Sie hätten Tage, Wochen, vielleicht sogar Monate, zusammen verbringen müssen, um langsam wieder miteinander vertraut zu werden. Jetzt jedoch konnte sie Keru alles sagen, weil er es nicht zu verstehen schien. Und so hatte sie die Möglichkeit, ihn zu bemuttern, zumindest für eine Weile, und ihn sogar zu küssen und um ihn zu weinen, solange niemand zuschaute.
     
    Als Marrah schließlich aus Kerus Zelt kam, wartete Luma auf sie. Marrahs Miene war ernst, und Luma wußte, daß die Wiedervereinigung zwischen Mutter und Sohn nicht sonderlich gut verlaufen war.
    »Hat er dich erkannt?«
    »Ja, ich glaube schon.«
    »Das ist ein gutes Zeichen.«
    »Ja.«
    Luma wartete darauf, daß Marrah noch mehr sagen würde, aber sie schwieg. Sie ließ sich neben Luma nieder, und die beiden saßen eine Weile schweigend da und blickten über den Fluß. Der Himmel war voller kleiner, rasch dahinziehender Wolken. Bei jedem Windstoß löste sich Marrahs Zopf ein wenig mehr auf, und ein paar

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