Alteuropa-Trilogie 3 - Das Lied der Erde
klatschte in die Hände, und die Trommler griffen nach ihren Trommeln und die Flötenspieler hoben ihre Flöten an die Lippen. »Spielt etwas Lautes und Fröhliches«, rief Marrah. »Laßt uns die Traurigkeit mit heiteren Liedern von dieser Insel vertreiben und das Unglück ins Meer verbannen. Heute sind zwei Mädchen als Frauen wiedergeboren worden. Heißen wir sie willkommen! «
Zuerst sangen die Sharaner und Alzacaner nur halbherzig mit, doch Marrah wählte bewußt alte Lieder, Liebeslieder und lustige Lieder, so derb und unflätig, daß die jungen Leute grinsen mußten und die alten in brüllendes Gelächter ausbrachen. Allmählich hob sich die Stimmung der Menge wieder.
Als der richtige Zeitpunkt gekommen war, unterbrach Marrah ihren Gesang und bedeutete auch den Musikanten mit einer Handbewegung aufzuhören. Sie wandte sich zu Keshna und Luma um und forderte sie abermals auf, sich zu erheben. Diesmal standen beide Mädchen auf. Luma lächelte, und Marrah sah zu ihrer großen Erleichterung, daß Keshna ebenfalls lächelte. Keshnas Lächeln hatte zwar noch immer etwas leicht Befremdliches, doch inzwischen war Marrah nicht mehr in der Stimmung, übermäßig kritisch zu sein. Sie wartete und hoffte – wie alle anderen Festteilnehmer – das Beste.
Da Luma vier Monate älter war als Keshna, durfte sie als erste wählen. Einen Moment lang zögerte sie, dann lachte sie fröhlich, stürmte vorwärts und warf die Arme um einen jungen Mann namens Ceathur. Ceathur war ein schwarzhaariger, muskulös gebauter Fischer und bekannt dafür, daß er zwei Dinge außerordentlich gut beherrschte: Wenn er in seinem Einbaum aufs Meer hinauspaddelte, fing er immer etwas, selbst wenn alle anderen mit leeren Netzen zurückkehrten; und er war einer der besten Geschichtenerzähler, den die Insel je hervorgebracht hatte. Luma war natürlich um einiges größer als Ceathur, aber schließlich überragte sie jeden Mann auf der Insel mit Ausnahme ihres Vaters.
»Der Bursche da wird dich die ganze Nacht wachhalten, Luma«, rief jemand aus der Menge, und alle lachten, denn es hieß, wenn eine Frau mit Ceathur sinnliche Freuden teilte, mußte sie sich zuerst mindestens sechs lange Geschichten anhören, bevor er endlich zur Sache kam. Aber vielleicht kannte Luma Ceathur besser, denn als sie die spaßige Bemerkung hörte, lächelte sie, beugte sich zu Ceathur hinunter und küßte ihn lange und innig, und nach der Art zu urteilen, wie er ihren Kuß erwiderte, schien sie eine gute Wahl getroffen zu haben.
Dann faßten sich die beiden an den Händen und schlenderten in Richtung von Marrahs Haus davon, um eine Schlafmatte und einen Krug mit Wein zu holen und sich damit an einen Strandabschnitt in einiger Entfernung vom Dorf zurückzuziehen. Von dem Moment an, als Luma und Ceathur aus dem Lichtkreis des Feuers traten und in der Dunkelheit verschwanden, waren sie offiziell unsichtbar. Der Tradition zufolge würde sie bis zum anderen Morgen niemand »sehen« oder »hören« können.
Jetzt war Keshna an der Reihe, ihre Wahl zu treffen. Zur großen Erleichterung aller Anwesenden wählte sie prompt und anstandslos, ging auf einen jungen Mann namens Breng zu und legte ihm einen Arm um die Schulter. Zwar hätte sie ein bißchen mehr Enthusiasmus und Zuneigung zeigen können, aber sie griff ihm spielerisch unters Kinn und schien sich ihm alles in allem auf freundliche, gutwillige Weise zu nähern.
Keshna war nicht ganz so groß wie Luma, deshalb paßten sie und Breng äußerlich besser zusammen. Als die beiden Liebenden aus dem Lichtkreis des Feuers traten und in die Nacht hinausgingen, hoffte Marrah inständig, daß Keshna inzwischen zur Vernunft gekommen war.
3. KAPITEL
Flache Wellen, von einer lauen südlichen Brise getrieben, liefen leise plätschernd an den Strand der Insel und hinterließen weiße Gischtflocken auf dem feuchten Sand. Wenn die Wellen wieder zurückwichen, malten sie glitzernde Linien von Sternenlicht auf den Strand. Es war eine mondlose Nacht, eine Nacht, in der die drei Gestirne des Triangels hoch oben am samtschwarzen Himmel standen; der Sand war warm, und die Schatten glichen dunklen Umhängen, wie geschaffen, um Liebende zu umhüllen.
Luma und Ceathur saßen im Schutz einer Düne. Von einem kleinen Gebüsch in der Nähe wehte der Duft von Rosmarin herüber, würzte die Luft und hielt Insekten ab. Lachend umarmten die beiden einander und tauschten lange, sanfte Küsse. Sie kannten sich schon ihr ganzes Leben lang und
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