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Alteuropa-Trilogie 3 - Das Lied der Erde

Titel: Alteuropa-Trilogie 3 - Das Lied der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Mackey
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endlich wieder als Ganzes zu fühlen. Er schulterte seinen Speer. »Ich gehe«, erklärte er barsch.
    »Schön«, sagte sie freundlich.
    »Ich meine, ich verlasse Shara.«
    Diese Erklärung drang endlich zu Ranala durch, weil sie die Befehlshaberin in ihr berührte. Sie senkte, weil er sie mitten in einem Wurf unterbrochen hatte, verärgert ihren Speer. »Ich würde mir die Mühe sparen. Bisher sind noch keine Nomadenstoßtrupps gesichtet worden, und die Nattern haben Wichtigeres zu tun, als durch den Frühlingsschlamm zu reiten und nach nicht existierenden Spuren zu suchen. Obershara ist erst halb fertig, und die Nattern wären sehr viel sinnvoller beschäftigt, wenn sie Tonerde feststampfen und Ziegelsteine schleppen würden.« Obershara war eines von Ranalas Lieblingsprojekten. Sie haßte die Vorstellung, ihre Krieger könnten während des Winters untätig herumsitzen und verweichlichen, deshalb hatte sie den Ältestenrat überredet, den Bau einiger Häuser auf den Klippen zu genehmigen. Falls es tatsächlich noch einmal zu einer Belagerung käme, so hatte sie argumentiert, sollten die Kinder und alten Leute nicht gezwungen sein, monatelang in Zelten zu hausen.
    Kandar lächelte bitter. »Da ich nicht die Absicht habe, die Nattern mitzunehmen, wenn ich Shara verlasse, brauchst du dir keine Sorgen darum zu machen, Ersatzleute für die Baumannschaften zu finden. Mir persönlich ist es völlig egal, ob du die Nattern dafür einsetzt, Steine zu schleppen oder Lehm für Ziegel festzustampfen oder Baumstämme für Dachbalken den Klippenpfad hinaufzuziehen, aber ich schlage vor, du läßt Lelsang das entscheiden. Er ist kein junger Mann mehr, aber die Nattern respektieren ihn, und er wird ihnen ein guter Anführer sein. Trithar würde ebenfalls einen guten Anführer abgeben, aber die Wahl liegt bei dir.«
    Ranala starrte ihn verständnislos an. »Was willst du damit sagen? Ich verstehe nicht, was du meinst.«
    »Ich will damit sagen, daß du dir einen neuen Anführer für die Nattern suchen mußt, weil ich für eine Weile fortgehe. Ich weiß, du verstehst mich nicht, aber bemüh dich wenigstens darum: Ich verlasse Shara, weil ich es nicht ertrage, Keshna auf Schritt und Tritt über den Weg zu laufen. Ihr Anblick macht mich verrückt. Wenn ich hierbleibe, werde ich sie tagtäglich um mich haben, sobald der Sommer kommt. Ich werde Fleisch vom selben Bratspieß essen, am selben Feuer schlafen, werde sie lachen hören und sie im Fluß baden sehen. Ich habe eine böse Seite in mir, Ranala, eine finstere Stelle in meinem Herzen, von der du keine Vorstellung hast. Wenn ich gezwungen bin, ständig auf diese Weise mit Keshna zusammen zu sein, kann ich nicht für das garantieren, was vielleicht passieren wird. Du weißt ja selbst, wie es ist, einen Kriegerverband anzuführen: man muß häufig schnelle Entscheidungen 'treffen, muß besonnen und unerschütterlich sein und ein sicheres Auge haben, und ich habe nichts von alledem, wenn Keshna in meiner Nähe ist. Einer meiner Krieger könnte durch meine Schuld den Tod finden, während er sie zu beschützen versucht; oder – Batal möge mir diesen Gedanken verzeihen – ich könnte Keshna in den Tod schicken, nur um sie loszuwerden. Natürlich nicht absichtlich, verstehst du, sondern weil der finstere Teil von mir plötzlich die Oberhand gewinnt, wenn ich am wenigsten darauf gefaßt bin.«
    »Oh«, sagte Ranala.
    »Ist das alles, was du dazu zu sagen hast: ›Oh‹? Ich schütte dir mein Herz aus, und du sagst nichts weiter als ›Oh‹.«
    Ranala kaute auf ihrer Unterlippe und machte ein nachdenkliches Gesicht. »Die Vorstellung, daß du gehen willst, gefällt mir gar nicht. Dieses Gejammere über die finsteren Stellen in deinem Herzen ist ein Haufen Ziegenscheiße. Du bist ein ausgezeichneter Anführer, und deine Krieger brauchen dich. Keshna dagegen kann man wohl kaum als unentbehrlich bezeichnen.«
    »Wenn du vorschlagen willst, ich soll sie aus dem Nattern-Verband rauswerfen, dann spar dir deinen Atem.«
    »Ich wollte dir nicht vorschlagen, daß
du
das tust. Ich wollte mich anbieten, es selbst zu tun. Nichts würde mir größeres Vergnügen bereiten.«
    »Nein! Nein und nochmals nein! Verstehst du denn nicht, wie ungerecht das wäre? Es ist doch nicht Keshnas Schuld, daß ich sie noch immer liebe. Sie hat mir deutlich genug zu verstehen gegeben, daß sie kein Interesse an mir hat.«
    Ranala zog nur schweigend die Brauen hoch. Dann hob sie ihren Speer und warf ihn mit so ruhiger,

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