Althalus
blicken.
Keiwon lag am östlichen Ufer des Medyos, an die hundert Meilen von der antiken Ruinenstadt Awes entfernt. Es war eine reizlose Ansiedlung wie fast alle Provinzhauptstädte. In mancher Hinsicht erwies Keiwon sich als schäbige Nachahmung Deikas, mit einem Forum, einem Stadtplatz und einem Tempel -nur war alles viel kleiner. Die Stadt war eine Ansammlung von Stilwidrigkeiten; die Statuen waren aus Holz, und so wirkten sie auch: hölzern und klobig. Die Statthalter, die Wekti Jahrhunderte lang regiert hatten, waren Bürokraten aus der Reichsstadt von Deika gewesen, und kein zweitklassiger Bürokrat litt je unter der Last künstlerischer Vollendung -oder sonst einer. Sie hatten nur das Ziel verfolgt, dass Keiwon Deika so ähnlich sah wie möglich. Die Folge war, dass die Stadt im Gegensatz zu Deika keinen Höhenflug erlebt hatte, sondern in die Nie derungen der Bedeutungslosigkeit gestürzt war.
Der Kherdhos-Tempel grenzte an den Palast des Statthalters und war eine stümperhafte Nachahmung des Tempels zu Deika, fand Althalus. Er hatte sich zwar nicht lange in Deika aufgehalten, als er fünfundzwanzig Jahrhunderte zuvor den Salzhändler Kweso berauben wollte, doch die Ähnlichkeiten weckten das seltsame Gefühl in ihm, das alles schon einmal erlebt zu haben und er fragte sich unwillkürlich, ob Exarch Yeudon vielleicht auch bissige Hunde hielt.
Bheid blickte voller Unbehagen auf seine neue Gewandung. »Wie möchtet Ihr, dass ich auftrete, Althalus?«, fragte er. »Ich würde es mit Überheblichkeit versuchen, Bheid. Schaffst du das?«
»Ich kann es versuchen.«
»Du musst es tun, nicht versuchen. Wenn du Erfolg haben willst, musst du dich in diese Rolle hineinversetzen. Du überbringst eine äußerst wichtige Botschaft von Exarch Emdahl an Exarch Yeudon und darfst keinen Zweifel daran lassen, dass du jeden tötest, der sich dir in den Weg stellt.«
»Töten?«
»Du musst es ja nicht wirklich tun, Bheid. Aber drohe damit. Du trägst das Habit eines Würdenträgers deines Ordens. Also gib damit an.«
»Wie lautet denn die Botschaft, die ich überbringe? Vielleicht sollte ich sie niederschreiben.«
»Auf gar keinen Fall. Du möchtest doch nicht, dass sie in die falschen Hände gerät! Es ist eine mündliche Botschaft und nur für Yeudons Ohr bestimmt. Sie muss sich in etwa so anhören: Dein Exarch hat vor kurzem entdeckt, dass Daeva einen Feldzug begonnen hat, um die Welt zu erobern. Da euer Exarch so unsagbar heilig ist, hat er seine traditionsbedingte Erbitterung gegenüber den abtrünnigen Weißkutten überwunden und eilt ihnen im bevorstehenden Krieg gegen die Mächte der Finsternis zu Hilfe.«
Bheid blinzelte.
»Wir brauchen irgendeine glaubhafte Erklärung für die Horden barbarischer Arumer, die morgen oder übermorgen in Keiwon eintreffen werden, nicht wahr? Ich erfinde das jetzt aus dem Stegreif, also hat es noch seine Mängel, die wir aber bestimmt bereinigen können. Yeudon weiß wahrscheinlich schon, dass sich an seiner Nordgrenze Ansuner sammeln, aber du musst so tun, als brächtest du ihm bestürzende Neuigkeiten. Tu entsetzt und erwähne ein paar Dinge, mit denen du seine ungeteilte Aufmerksamkeit gewinnst das Ende der Welt, eine Invasion durch Horden von Teufeln, das Erlöschen der Sonne wie eine Kerze, die ausgepustet wird -so etwas in der Art. Dann stellst du Eliar als Sprecher für die arumischen Stämme vor, und anschließend erklärst du Yeudon, dass ich der Kämmerer unserer heiligen Mission bin, die es sich zum Ziel gesetzt hat, die Welt vor den Mächten der Finsternis zu retten.«
»Ist das nicht ein bisschen dick aufgetragen, Althalus?«
»Natürlich. Es ist ja auch nur ein grober Entwurf. Du kannst daran ändern, was du für richtig hältst, Bheid. Lass deiner Fantasie freien Lauf. So, wie du bei Ambho in Kweron vorgegangen bist, habe ich völliges Vertrauen in deine Fähigkeit, überzeugend zu lügen.«
Bheid wand sich. »Aber mir ist untersagt, jemanden zu belügen«, wehrte er sich.
»Wenn du es recht bedenkst, erkennst du selbst, dass diese Lüge der Wahrheit gefährlich nahe kommt. Wir bieten wirklich Hilfe an und dieser bevorstehende Krieg ist tatsächlich ein Kampf zwischen Gut und Böse. Ich schlage lediglich vor, dass du einige Dinge zu erwähnen vergisst, die Yeudon wahrscheinlich nicht verstehen kann.
Würdest du ihn mit der nackten Wahrheit konfrontieren, ließe er dich vermutlich als gemeingefährlichen Verrückten ins Verlies werfen. Erzähl ihm nur so viel
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