Althalus
Abenddämmerung breitete sich über dem Vorgebirge von Westkweron aus, als sie Eliar, Andine und Gher in ihrem kleinen Lager im Wald erreichten.
Gher fragte Althalus: »Ist sie die Gesuchte?«
»Emmy scheint es zu glauben.«
»Sie ist sehr hübsch, nicht wahr?«
»Allerdings. Und das hätte ihr fast den Tod gebracht. Der Priester dieses Städtchens hatte die Angewohnheit, hübsche Mädchen auf dem Scheiterhaufen zu verbrennen. Schöne Frauen weckten unkeusche Gedanken in ihm, und er hielt Brennholz für die einfachste Methode, diese Gedanken loszuwerden.«
»Habt Ihr ihn getötet?«, fragte Gher empört.
»Ich habe es in Betracht gezogen, aber Emmy redete es mir aus. Ich liebe Emmy, aber sie kann manchmal sehr unvernünftig sein. Sie billigt es nicht, wenn man etwas tötet, das nicht als Nahrung dienen soll.«
»Wenn Ihr möchtet, rede ich mit Eliar. Dann könnt Ihr Emmy ablenken, während Eliar und ich uns in dieses Städtchen schleichen und den Priester abmurksen.«
»Sie würde es herausfinden«, entgegnete Althalus düster. »Dann
würde sie uns mindestens eine Woche lang mit Verachtung strafen.«
»Ich habe dich gehört, Althalus!«, wies Emmy ihn zurecht.
»Das wundert mich nicht, Em. Wenn du deine Nase aus den Dingen heraushieltst, die dich nicht betreffen, würdest du nicht so viel hören, das dich beleidigt.«
»Könntest du Gher vielleicht an die Kandare nehmen? Er ist ein blutrünstiger Wilder!«
»Ich mag ihn. Lassen wir Leitha den Dolch heute Abend lesen?«
»Wir warten lieber bis morgen Früh. Ich muss sie erst noch ein wenig bearbeiten. Sie will nichts mit dem zu schaffen haben, was wir tun.«
»Wollte das überhaupt einer von uns?«
»Benimm dich, Schatz.«
»Ja, Liebes.«
Unter dem stahlgrauen Himmel erstreckte sich der dichte, dunkle Wald. Althalus hatte sich verirrt, wusste aber nicht so recht, wohin er eigentlich gewollt hatte, bevor er in diese düstere Welt eingedrungen war. Sein Geist schien sich selbstständig gemacht zu haben, und jedes Mal, wenn er ihn leiten wollte, verdrängte ein hohles Wimmern seine Gedanken, und er tastete sich hilflos durch das wirre Dickicht. Er hatte das Gefühl, dass dieser Furcht einflößende Wald endlos war, doch mit seltsamer Entsagung plagte er sich grim mig weiter.
Plötzlich wurde sein Verstand in Alarmbereitschaft versetzt und er kämpfte sich durch Gedanken und Erinnerungen, die ineinander wucherten wie die Pflanzen des Waldes, als das hohle Wimmern ihn zurück in die Tiefe der Welt zog, die Ghend um ihn gesponnen hatte wie eine dunkle Spinne ihr Netz.
»Sie kommt!«, sangen die Bäume. »Sie kommt«, freuten sich die Ranken. »Sie kommt!«, schrillte der hohle Himmel. »Werft euch demutsvoll vor ihr auf die Knie!«
Und wieder einmal schritt Ghend durch den Wald und über die Ebene, während der Tag zum Sonnenaufgang zurückkehrte. »Und wie wirst du sie begrüßen, mein Dieb?«, fragte Ghend, und seine Augen begannen zu brennen.
»Ich werde ihr die Stirn bieten, so wie ich dir und deinem Gebieter die Stirn bieten werde.«
»Dein lächerlicher Trotz ist bedeutungslos, Althalus«, erklärte Ghend mit den brennenden Augen voll tiefer Verachtung. »Denn Gelta, die Königin der Nacht, wird dich überwältigen, und ich, der Diener der Finsternis, werde dich in die Hölle schleppen, wo Daeva, der Herr über alles, sich deiner Seele bemächtigen wird.«
Althalus lachte. »Deine Illusion nährt sich aus Hass, Ghend, aber halte sie ruhig fest, wenn du das Bedürfnis hast. Drück diese
Illusion an deine Brust und sei so wachsam, wie man nur sein kann, poch wie sehr du dich auch daran klammern magst, ich werde sie dir aus den Armen stehlen und die Sonne wieder auf ihren rechten Weg bringen. Die Zeit wird nicht zu dem Ort zurückkehren, den sie hinter sich gelassen hat. Deine Illusionen sind Torheit und deine Verwünschungen entbehren jeder Kraft. Ich werde der Königin der Nacht die Stirn bieten, und ich werde dir die Stirn bieten, Diener der Finsternis, und erst recht werde ich dem die Stirn bieten, der dein Gebieter ist, aber nie mein Gebieter sein wird.«
Und Ghend kreischte …
… und Althalus erwachte.
»Bist du wahnsinnig?«, rief Emmy in seinem Kopf.
»Woher soll ich das wissen, Em?«, entgegnete er ruhig. »Ver
rückte wissen nic ht, dass sie verrückt sind, oder? Ich glaube, wir haben uns im Haus des Öfteren darüber unterhalten. Ich dachte, es wäre interessant den Spieß umzudrehen. Ghend versucht, mit der Wirklichkeit zu
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