Althalus
die Erde erschauerte unter ihren Füßen.
Ein paar große Steinbrocken polterten den steilen Berghang herab.
»Die nächste Lawine wird vermutlich das Ende bedeuten.« Althalus blinzelte den Berg hinauf. »Lebt wohl, Meister Bheid. Es war mir eine Freude, Euch zu dienen. Wenn Gott uns gewogen ist, wird die Lawine uns alle auf Anhieb töten. Ich möchte ungern lebendig begraben werden, Ihr?«
»Nehmt sie«, kreischte Ambho. »Bringt die Hexe nach Awes, aber lasst die Lawinen aufhören!« »Irgendwie wusste ich, dass er das sagen würde«, wandte Althalus sich an niemanden im Besonderen.
15
Leitha, die Hexe, hatte flachsfarbenes Haar, das ein inneres Licht zum Leuchten zu bringen schien. Sie war hoch gewachsen und schlank, ihre Haut sehr blass, fast wie feiner Marmor, den Bildhauer so schätzen, und ihre Augen waren vom tiefsten Blau, groß und glänzend und sehr weise. Auf dem Marktplatz von Peteleya hatte man sie an eine steinerne Säule gekettet, die rußig war von früheren Feuern.
Als sie kamen, Leitha loszubinden, war ihre Miene gleichmütig, doch ihre Augen verrieten schreckliches Leid.
»Das ist nur ein Aufschub, Hexe«, krächzte Ambho mit seiner rauen Stimme, während er ihre Ketten löste. »Die Priester der heiligen Stadt Awes werden dich hochnotpeinlich befragen und dich zwingen, ihre Fragen über deinen höllischen Gebieter zu beantworten. Und dann wirst du brennen.«
»Ich habe keinen Gebieter, Ambho«, antwortete sie mit ruhiger Stimme. »Ich bin nicht wie du. Ich habe deine Seele gesehen, Pries ter, und sie ist schwarz. Was dort brennt, hast du selber gezündet, nicht ich, auch nicht die anderen, die du den Flammen zum Fraß vorgeworfen hast. Deine Wollust ist das einzige Böse hier und du kannst es nicht vertreiben, indem du die Objekte deiner Begierde verbrennst, wie du es immer wieder versuchst. Jeder deiner Gedanken bricht das Gelübde, das du abgelegt hast, und die Flammen, in denen du brennen wirst, sind viel heißer als jene, die du für uns zündest. Geh fort und läutere deine Seele!«
Ambhos Gesicht verriet plötzlich Schuldbewusstsein und Ekel vor sich selbst. Er drehte sich um und rannte davon.
Althalus erstand ein Pferd für Leitha und bezahlte eine unverschämte Summe; dann verabschiedeten er und Bheid sich von Terkor und ritten einen der bewaldeten Hänge empor. Als sie außp Sichtweite von Peteleya waren, hielt Althalus an. »Befreien wir sie von den Ketten.« Er saß ab und half Leitha vom Pferd. Dann be trachtete er das einfache Schloss, das ihre Hände zusammenhielt brach es auf, nahm dem Mädchen die Ketten ab und schleuderte sie in einem plötzlichen Wutanfall so weit ins Unterholz wie er nur konnte.
»Vielen Dank, Althalus.«
»Du kennst meinen Namen?« Er staunte.
»Jetzt ja.«
»Oje«, murmelte Emmy.
»Was ist los?«, fragte er verwirrt.
»Dweia weiß, dass ich Eure Gedanken hören kann, Althalus.« Leitha lächelte schwach. »Es beunruhigt sie.«
»Das kannst du?«, entfuhr es Bheid.
»Ja. Es wunderte mich immer, dass andere es nicht auch können.«
»Deshalb wollte Ambho dich auf dem Scheiterhaufen verbrennen.«
»Das war nicht der Grund. Ambho hatte ein Keuschheitsgelübde abgelegt, brach es in Gedanken aber immer wieder. Statt sich selbst dafür die Schuld zu geben, wälzte er sie auf jene ab, die unwissentlich seine Wollust weckten. Es passiert vielen, dass sie ihre Schuld nicht erkennen wollen.«
»Du hast eine große Gabe, Leitha.«
»Wie man es sieht. Ich würde sie dir gern abtreten, Bheid, wenn ich könnte. Die Stille muss wundervoll sein.« Jetzt blickte sie Emmy an. »Es bringt nichts, es verbergen zu wollen, Dweia. Früher oder später werden es alle wissen. Das war der Fehler, den ich in Peteleya beging. Ich versuchte diese so genannte Gabe zu verbergen -und sieh, wohin es mich fast gebracht hätte.«
»Mach Platz, Althalus«, befahl Emmy. »Ich kann Euch auch ohne seine Stimme hören, Dweia«, sagte Leitha. »Ich glaube nicht, dass ich mich Euch anschließen will.« »Ich fürchte, du hast keine Wahl, Leitha«, vernahm Althalus Emmys Antwort. Leitha seufzte. »Wahrscheinlich nicht.«
»Was geht hier vor?«, fragte Bheid verwirrt Althalus.
»Die Damen unterhalten sich.« Althalus tippte mit einem Finger die Stirn. »Hier drinnen«, fügte er hinzu. »Und es ist inzwischen ein wenig eng.« Er schaute sich um. »Sehen wir zu, dass wir weiterkommen. Ich möchte vor Einbruch der Dunkelheit wieder bei den anderen sein.«
Die
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