Althea - Das Erwachen
in Waging eine letzte Runde, rief laut und versuchte noch ein letztes Mal, jemanden zu finden. Ich fand schließlich auch jemanden oder besser: etwas. Eingroßer Pudel stand plötzlich vor mir, wie aus dem Boden gewachsen. Sein Fell war viel zu lang, völlig zerzaust und verfilzt, er war etwas mehr als einen halben Meter groß. Seine Augen waren blutunterlaufen, und er knurrte mich bösartig an. Ich bremste sofort ab und blieb stehen, der Hund war mir unheimlich. Er hatte Schaum vor dem Maul, ich vermutete Tollwut oder etwas in der Art. Ich drehte ganz langsam das Fahrrad um, um ihn nicht zu provozieren, ich wusste genau, er würde mir hinterher kommen, sobald ich floh. Jetzt half nur noch Schnelligkeit, sonst würde mich das Vieh erwischen.
Ich stieg wieder auf und trat richtig fest in die Pedale, zum Glück war ich in einem kleinen Gang, schaltete aber schnell höher. Der Pudel war losgerannt, sobald ich anfuhr. Ich blickte mich voller Panik nach ihm um. Der Hund jagte mir bellend und knurrend hinterher und kam schnell näher. Er schnappte erst nach dem Reifen, dann nach meinem Fuß, als er mich endlich hatte. Verzweifelt ersuchte ich, ihn wegzutreten und gleichzeitig dabei seinen Zähnen nicht zu nahe zu kommen, das war nicht der richtige Zeitpunkt für eine Krankheit wie Tollwut. Plötzlich kam aus einer Seitenstraße noch ein Hund, der dem Pudel ganz ähnlich sah, auch er war halb verhungert und hatte blutunterlaufene Augen. Er war deutlich größer als der Pudel, es war ein deutscher Schäferhund. Jetzt jagten zwei dieser Viecher hinter mir her, mir liefen kalte Schauer den Rücken hinunter. Von Hunden getötet zu werden war kein schönes Ende. Der Pudel machte jedoch den letzten Fehler seines Lebens und schnappte nach dem Schäferhund. Der fiel den Pudel an und beide verkeilten sich in einem wütenden Kampf.
Ich trat, so fest ich konnte, in die Pedale und fuhr davon, auf dieses Schauspiel konnte ich gerne verzichten, ich wollte nicht warten, bis der Schäferhund den Pudel auseinandergenommen hatte. Hinter mir hörte ich das Krachen von Knochen, als brutale Kiefer zubissen, und das Jaulen des Pudels verstummte. Ich verließ Waging schließlich Richtung München fast genau so, wie ich angekommen war, angsterfüllt und benommen.
Sobald ich den Ort verließ, überkam mich wieder eine neue Einsicht. Ich musste erst einmal absteigen, um irgendwie damit fertig zu werden. Der Grund dafür war meine neue Wahrnehmung der Natur und meiner Umgebung. Hier draußen ohne den ganzen Teer, den Beton und die Häuser, die die Natur ziemlich gründlich abschirmten, fühlte ich es noch einmal deutlicher als in der Stadt. Ich verließ die Straße und lief durch ein Feld, das Fahrrad als lästiges Anhängsel neben mir her schiebend. Nahe der Straße befand sich ein Bach, der von Bäumen gesäumt war.
Wie von unsichtbaren Schnüren gezogen bewegte ich mich darauf zu. Ich fühlte mich wie auf einen fremden Planeten versetzt. Das saftig und grün wachsende Feld, der glucksende Bach, die starken Bäume, die sich im Wind wiegten, die zwitschernden Vögel darin, die Insekten, die überall herumschwirrten. Ich war mir plötzlich allem um mich herum intensiv bewusst.
Die Natur um mich herum hatte sich zu etwas Freundlichem, etwas, was zu mir gehörte, gewandelt. Das Gefühl übermannte mich, in seiner Fremdheit und doch auch in einer sehr vagen aber trotzdem starken Vertrautheit. Ich ließ das Fahrrad fallen und ging zum Bach. Ich zog die Schuhe und die Hose aus und stieg barfuß in den Bach. Ich griff in den Schlamm und fühlte und fühlte. Der Schlamm war angenehm warm und weich, aber was mich wirklich beeindruckte war das reichhaltige Leben darin. Ich konnte es irgendwie fühlen, das Leben in dem Bachbett.
Ich streckte die Hände gen Himmel und fühlte nach dem Leben um mich herum. Vögel, Bäume, Insekten, die Pflanzen, sogar der Wind, der durch die Wipfel strich. Alles, was vorher einfach nur da und auch selbstverständlich war, hatte sich verändert. Es war zu etwas wirklich Wertvollem und Existenziellen geworden. Es war nicht mehr etwas, was man eventuell vielleicht durch Umweltschutz schützen sollte, sondern zu dem, was die Welt zusammenhielt, ohne das wir nicht existieren konnten. Etwas, was ein Teil von uns allen war. Etwas, was nun ein Teil von mir war.
Was ich vorher durch Wissenschaften und Aussagen von Fachleuten und Umweltexperten schon irgendwie auch gewusst hatte, das Alles war für mich jetzt völlige Gewissheit und das
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