Altherrensommer
ihre Jahre als junge Mutter über die Seele? Warum laufen sie ihr, an schlechteren Tagen, tatsächlich als »Laus über die Leber«? Ihr Mann ist doch kein Kind, das betreut werden müsste! Mehr Zeit füreinander haben. Mehr miteinander unternehmen. Mehr gemeinsam erleben. Schon vor knapp 15 Jahren empfanden »nur 3% der Paare den Ruhestand als Bereicherung ihrer Beziehung«. 6 Demnach konnten 97% nicht feststellen, dass mehr Zeit füreinander automatisch mehr Glück miteinander bedeutete. Warum nicht?
Das Leben zu zweit besteht – hoffentlich meistens oder zumindest in den nachdenklich-romantischen Momenten – aus dankbarer Wertschätzung all des Guten, Wahren und Schönen, der verlässlichen Treue und der verständnisvollen Nachsicht, die Mann und Frau füreinander aufbringen. Manchmal sind wir rundum glücklich, loben einander und bedanken uns für das gute Umsorgtsein und alles Verzeihen, kurz: für das Wunder einer tragfähigen Liebe bis ins Alter. In zahlreichen Stunden der vielen anderen Tage aber besteht das Leben auch aus lästigen Kinkerlitzchen und kleinen Ärgerlichkeiten. Wie lange jemand
im Bad braucht und warum Zehennägel auf dem Fußboden den barfüßig Nachfolgenden ekeln. Wieso zusammengeknüllte nasse Handtücher nicht trocknen, sondern müffeln. Dass der Rest der Gemüsesuppe nicht in den Kühlschrank gestellt wurde. Und wie man sie jetzt entsorgen soll, ohne den Abfluss zu verstopfen. Wieso auf sämtlichen freien Flächen der Wohnung etwas steht. Wie lange die Rechnung von der Firma Dings hier schon liegt. Dass Klopapier auf der Papprolle kein nachwachsender Rohstoff ist. Wer die Mülltonnen so dämlich rausgestellt hat, dass sie zwei Parkplätze blockieren ... Der alte Mann entdeckt jetzt das Mehr. Wie viel mehr Haus- und Familienarbeit erforderlich ist, als er dachte. Seine Frau entdeckt jetzt mehr an ihrem Mann. Wie viele kleine, anfangs putzige, später nervige Schrullen und Gewohnheiten ihm eigen sind, die seine berufliche Ganztagesabwesenheit gnädig gemildert hatte. »Von solchem Alltagsklein aber reden all die geistig-topfitten Renten-Ratgeber und strahlend-erholt-aussehenden Alters-Experten nicht, wenn sie die Vorstellung verbreiten, das Alter sei auch eine ›Chance‹. Wobei unerfindlich bleibt, wofür. Im Fernsehen entsteht eine neue Sorte Kleinstdarsteller zum Thema Alter. Gutbetuchte, hochbetagte Mitbürger preisen sprachgewandt und für gutes Geld die Segnungen des Alterns. So reden Menschen mit vollem Beutel und eiserner Gesundheit. Wer das Alter preist, hat ihm noch nicht ins Gesicht gesehen«, wettert TV-Journalist Sven Kuntze. 7 Andere halten unbeirrt den erwünschten Kurs des positiven Denkens: »Die partnerschaftliche Kooperation mit Frauen wird verstärkt geübt. Es gilt die Formel: Weniger Mann, mehr Mensch.« 8 Eine unfreiwillig verräterische Formel. Als Mann im Beruf war er manchmal unmenschlich, jetzt, als Rentner und hier
zu Hause »ist er Mensch, hier darf er’s sein«, wie Goethes Faust beim Osterspaziergang. Wirkt der Mann also umso menschlicher, je unmännlicher er sich gibt?
Schauen wir uns die »partnerschaftliche Kooperation« einmal genauer an. Natürlich erwartet niemand – er am allerwenigsten –, dass die Frau des Hauses jahrzehntelang bewährte Arbeitsweisen, lieb gewordene Gewohnheiten, gut geölte Abläufe und Handgriffe über Nacht ändert, nur weil ihr Mann neuerdings auch Zeit dafür hätte. Warum sollte sie ihm Saftpresse und Teig-Rührgerät, Waschmaschine, Tümmler und Kühltruhe, die korrekte Entnahme des Beutels aus dem Staubsauger, das Entkalken des Spülautomaten sowie die Reinigung des Backofens, die Verwendung von Möbelpolitur im Wohnzimmer und Essigreiniger im Bad lang und breit erklären? Bei ihr klappt das schließlich aus dem FF und ist in kürzester Zeit erledigt. Erst wenn sie erschöpft oder krank, wenn sie teilzeitberufstätig oder länger verreist ist und er , aus Notwendigkeit oder Neugier, plötzlich Interesse an bisher ungeübten Tätigkeiten zeigt – dann zeigen sich Konflikte, die nur scheinbar alltagsbanal und oberflächlich sind, weil sie zu Haarrissen, zu winzigen Bruchlinien des Selbstbewusstsein werden können. Und schlicht demütigend sind.
Die alte Kaffeemaschine mit weißer Thermoskanne unter dem Filter sah fleckig vergilbt und irgendwie versifft aus. Die schicke schwarzsilberne Espresso-/Cappuccino-Maschine, die sie sich vor fünf Jahren gekauft hatten, machte pro Tasse den Lärm eines startenden Jumbojets.
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