Altherrensommer
Beiträge in eine staatliche Sparkasse eingezahlt. Obwohl in Kopf und Verstand längst abgehakt, hält sich in deutschen Herzen und Gefühlen der fest verankerte Wunsch, im Keller der Berliner »Deutschen Rentenversicherung Bund« müssten die Milliarden aus sechs Jahrzehnten liegen, die jedem Beitragszahler ab 60 oder 65 in kleinen Scheinen zurückgegeben werden. Dem ist nicht so. Alle wissen das. Aber wenn von ebendort eine »Renteninformation« verschickt wird, in der es von Konjunktiven nur so wimmelt – könnte, würde, hätte, ergäbe sich, entspräche –, dann glauben die meisten, den hier genannten Betrag auch tatsächlich zu bekommen. Dem ist auch nicht so. Beziffert wird lediglich der Betrag, auf den eine »Rentenanwartschaft« erworben wurde. Wir werden über die Höhe unserer Ansprüche informiert, nicht über Geldbeträge, die tatsächlich fließen. Deren Höhe hängt allein von den zukünftigen Berufstätigen ab. In der ehemals »BfA« abgekürzten »Behörde für Almosen« wird nur eingesammelt und durchgereicht, was heute da ist.
In Dänemark und Schweden legt der Gesetzgeber nicht die Obergrenze fest, bis zu der gearbeitet werden muss (und bestraft auch nicht ein paar Monate Abweichung mit lebenslangen Sanktionen). Er legt die Untergrenze fest, ab wann eine »Teil-Rente« gezahlt werden kann. Die ist umso geringer, je früher sie bezogen wird (darin ähnelt sie manchen deutschen Altersteilzeitregelungen), steigt aber mit
jedem Jahr, das der Betreffende länger im Betrieb bleibt. Bevor sich Rentenmathematiker auf das finanzielle Für und Wider stürzen, lohnt ein Blick auf die atmosphärischen, die »betriebsklimatischen« Vorteile. Betriebs- und Abteilungsleiter halten alte Hasen nicht für altes Eisen und benehmen sich ihnen gegenüber auch nicht so. Personalchefs legen Mappen mit Geburtsjahrgängen ab 1965 nicht in die unterste Schublade, sondern halten die Anstellung und Beförderung von Mittvierzigern oder gar Fünfzigern für diskutabel. Projektplaner blocken die Vergabe langfristiger Aufgaben an Mitarbeiter über 50 nicht mit dem Hinweis ab: »der geht ja eh bald«. Qualitätscontroller und Personalentwickler halten Ältere nicht für zu blöd oder zu gewohnheitsstarr, etwas Neues zu lernen.
Klingt alles wie ein Märchen aus 1001 Nacht? Mag sein. Es könnte aber den eklatanten Fachkräftemangel der nächsten Jahre vom anderen, vom oberen Ende des Zeitstrahls her zumindest teilweise beheben. Oder sollte der Stammtisch der resigniert Erregten recht behalten: Verlassen kann man sich in Deutschland nur darauf, dass wir nichts von unseren Nachbarländern lernen? CDU-Ex-Arbeitsminister Norbert Blüms legendäre Beteuerung »Die Renten sind sicher« von 1986 und SPD-Ex-Arbeitsminister Olaf Scholz’ Donnerwort »Die Rente ist armutsfest« von 2009 haben gemeinsam, dass die Bürger beide Sprüche als ängstliches Pfeifen im Wald erkannten. Pfeifen sie selber jedoch aus dem zweitletzten Loch, wenn sie ihre Einkünfte mit ihren Lebenshaltungskosten vergleichen, dann nützen die schönsten Riester-Renten-Privatzusatz- und Lebensversicherungsangebote nichts. »Auf die hohe Kante legen« kann man nur, was man sich vom Munde absparen konnte.
Im Herbst 2008 bewiesen die Banken und Versicherungen – eigentlich die Hüter der hohen Kanten –, dass sie jederzeit willens und in der Lage sind, »Oma ihr klein Häuschen« im globalen Börsencasino zu verzocken. Bleibt als wirklich »sichere Rente« also nur der Goldbarren unter dem Bett, wenn dieses Bett in einer eigenen, schuldenfreien Immobilie steht? So scheint es. Wer ein Leben lang so viel gespart oder in der Lebensmitte so viel geerbt hat, dass er in seinen eigenen vier Wänden, miet- oder abzahlungsfrei, wohnt, dem darf man herzlich gratulieren. Inzwischen aber dämmert solchen »Vermögenden« auch: Grundstücke und Häuser kann man nicht essen. Und die ambulante Pflegerin der letzten Jahre wird Bargeld wollen.
Bargeld von der Rente abzweigen will neuerdings auch ein alter Bekannter, den viele Rentner beinahe vergessen hatten: Der Fiskus. Musste bis 2005 nur der sogenannte »Ertragsanteil« einer Rente versteuert werden (bei mittleren bis hohen Renten waren das meist 30%, bei kleinen Renten gar nichts), so sind seither 50% der Bruttorente steuerpflichtig. Mit anderen Worten: Millionen Rentner haben ihren Freibetrag bereits ausgeschöpft – auch ohne zusätzliche Witwenrenten, Mieteinnahmen oder Zusatzverdienste. Darüber belehrt sie seit 2012
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