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Altherrensommer

Altherrensommer

Titel: Altherrensommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Malessa
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das Finanzamt auf die rabiate Tour: per Steuerfahndung und Bußgeldstelle. Die deutsche Rentenversicherung, die Pensionsfonds und privaten Rentenversicherer melden ihre Versicherten einer »Zentralen Zulagenstelle für Altersvermögen, ZfA«, die meldet deren Einnahmen an die Finanzämter, und die fragen erst sich und dann den Rentner, ob das schon alles gewesen sein könne. Dass Witwen, die in ihrem ganzen Leben noch kein einziges Steuerformular ausfüllen mussten (»hat immer
mein Mann gemacht«) nun stundenlang über Papieren brüten, deren Ertrag für den Staat am Ende 3,58 € ergibt, dass pensionierte Beamte, denen ein Leben lang Korrektheit und Staatstreue das Wichtigste war, nun Strafverfahren und Bußgeldbescheide ins Haus flattern – das wird alles in Kauf genommen. Auf dass sich nur keiner einen wohlausgestatteten Lebensabend dazuverdient!

    Eine uralte Erfahrung von Kabarettisten lautet, dass die Satiren von gestern bereits von der Wirklichkeit morgen überholt werden können. Dass ein absurd sarkastisch gemeinter Tipp von Harald Martenstein schon übermorgen als ernst zu nehmender Rat verstanden werden könnte. »Hier mein Rat an die Jugend: Lebt in vollen Zügen. Feiert. Lasst es krachen. Ignoriert alle Vorsorge- und Anlage-Angebote. Eine überdurchschnittliche Rente wird Euch sowieso weggenommen. In 30 Jahren wird der Staat nämlich noch klammer sein als heute. Spart heimlich Geld, tut es ins Kopfkissen. Dort kriegt Ihr zwar keine Zinsen, aber es wird auch nicht versteuert.« 20 Viel Benzin für das Tischfeuerwerk am Kaffeetisch ...

6
JOSEF ENGAGIERT SICH JETZT

    Die Adresse liegt in jener Halbhöhenlage der Stadt, in der keine grafittibesprühten Wohnblock-Fassaden, schmutzige Spielplätze und schrottreife Kleinwagen das Straßenbild prägen, aber auch keine Videokameras über Toreinfahrten weiß ummauerter Bungalows ein »Bonzenviertel« signalisieren. Halbhoch eben. Mittelstand. Na gut, gehobener Mittelstand. Der Weg zu meinem heutigen Gesprächspartner führt steil bergan in eine stille, aber auch schläfrig wirkende Wohngegend, wo sich makellose Einfamilienhäuser, Efeu-umrankt, mit Reihenhaushälften hinter frisch lasierten Holzsichtblenden abwechseln. Wer in einer Straße mit 12% Gefälle parkt, benötigt eine gute Handbremse, denke ich beim Aussteigen. Und im Winter viel Streusalz. Er ist jetzt 66, geht es mir durch den Kopf, in zehn Jahren und mit Rollator könnte er hier Schwierigkeiten haben. Er hat einen für diese Gegend untypisch katholischen Vornamen und obendrein einen österreichisch adligen Nachnamen – für dieses Buch nenne ich ihn Josef Hermann von Maßmüller.

    Die Hecke, an der ich entlang steige, muss mit der Nagelschere getrimmt worden sein. Die drei Stufen zur Haustür mit Trockenblumenkränzchen sind aus rötlich marmoriertem Granit. »Seien Sie gegrüßt!«, sagt er volltönend. Seine überaus höflich formulierten Fragen nach Kaffee oder Tee, süßem oder herzhaftem Gebäck klingen vornehm. Er trägt ein kariertes Freizeithemd, eine helle Bundfaltenhose und darüber ein marineblaues Jackett mit goldenen Knöpfen. Vielleicht hat er das wegen unserer Verabredung angezogen, denke ich, oder würde er sonst im Zweireiher durch Keller und Küche eilen? »Meine Frau lässt sich entschuldigen, die ist noch im Baumarkt«, ruft er mir durch die Küchendurchreiche
zu. Ich schaue mich um. Zwei über Eck gestellte riesige Bücherregale enthalten genau das, was man hier vermutet: Zwei Enzyklopädien, eine blaue, eine braune, jeweils zehn oder zwölf Bände mit Goldrandrücken. Zahllose Kunstführer und Bildbände. Reihenweise Werkausgaben klassischer Literaten – Goethe, Schiller, Heine, Hesse – daneben ein Plattenspieler mit Verstärker drunter, dann Siegfried Lenz, aber auch Konsalik und Simmel, gefolgt von der bunten Parade der Urlaubsschmöker: historische Romane, Krimis, Barbara Wood, Charlotte Link, ein paar Filmstarbiografien. Schließlich, ach-das-gibt’s-noch, gestapelte Dia-Kästen. Graue Längsschuber für jene gerahmten Foto-Positive, die man früher in Plastikschienen einsortierte, in einen »Diaprojektor« schob und damit vergrößert »an die Wand warf«. Optisch, versteht sich. Korsika, England, Toskana, Kreta.

    »Baumarkt?«, frage ich, als er mit dem Tablett kommt. »Ja. Es muss ja ständig im Haus und am Haus was gemacht werden. Nehmen Sie doch Platz. Milch, Zucker?« Seine Frau ist acht Jahre jünger und noch berufstätig, wie ich weiß, also scheint es mir

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