Altherrensommer
ihrer Stadt mit Eintrittsgeld und physischer Präsenz am Leben halten. Ausgerechnet diese offensichtlichen Nutznießer eines florierenden Kulturbetriebs aber sind von seinem baldigen Untergang überzeugt? Seltsam.
Merklich erleichtert und auch wohlgestimmter als zuvor kehre ich ins Wohnzimmer zurück. Josef steht am großen
Terrassenfenster und telefoniert, beendet aber das Gespräch, als ich wieder am Tisch Platz nehme. Das Telefonat muss ihn geärgert haben, sein Tonfall ist noch ein Gran schärfer geworden: »Als politisch interessierter Privatier hat man mehr Zeit, das linke Medienkartell zu durchschauen. Wie subtil wir gleichgeschaltet werden. Glauben Sie nicht? Doch, isso. Wir werden getrimmt auf berufstätige Frauen statt Mutterschaft, auf Homosexualität statt Familie mit Kindern, auf die Verhöhnung staatlicher und kirchlicher Autoritäten, auf Demutsgesten vor dem Islam.« Mir wird heiß am Haaransatz. Soll ich jetzt entgegnen, dass über 1850 verschiedene Printmedientitel am Kiosk, mehr als 100 verschiedene Radioprogramme und rund 40 gängige Fernsehkanäle gar nicht alle auf eine politische Linie gleichgeschaltet sein können ? Will ich mit ihm wirklich über die zwingende Notwendigkeit der Presse- und Meinungsfreiheit in einem weltanschaulich neutralen Rechtsstaat diskutieren? Und dass man für dieses demokratische Gut halt den Boulevard und manche blöden Tendenzblätter in Kauf nehmen muss? Josef Hermann legt nach: »Die CDU hat sich quasi sozialdemokratisiert, die FDP tut immer brav, was die Konzerne wünschen, und die Grünen wollten mal Pädophilie straffrei stellen. Alles Ideologen, sage ich Ihnen, alles Werte-Zerstörer!«
Er schaut jetzt an mir vorbei in den Garten hinaus, und ich denke: Was will er konkret? Rechtspopulisten wie in Ungarn und Holland? Eine Art Soft-NPD für Intellektuelle? Sollen wir ernsthaft darüber reden, dass die Menschenrechte für alle gelten müssen? Auch für kinderlose Karrierefrauen, Atheisten, Schwule und Muslime? »Und deshalb engagiere ich mich da jetzt«, sagt Josef knapp und beginnt,
das Kaffeegeschirr zusammen zu räumen. Ich hätte es merken können. Kein Bertolt Brecht und kein Günter Grass im Bücherschrank, aber Thilo Sarrazin. Und ein paar katholische und evangelikale Polemiker auf der ›Das-wird-manja-wohl-noch-sagen-dürfen‹-Spur. Die hellbraun getönte Ideen-Drehtür zwischen konservativem Bildungsbürgertum und Rechtsextremismus eben. »Wie engagieren Sie sich?«, frage ich und stehe mit ihm vom Tisch auf. »Durch Leserbriefe und Hörerpost. Oder Zuschauer-Mails. Und wenn sie die nicht abdrucken oder mir butterweiche Abwimmel-Antworten schreiben oder gar nicht reagieren, dann ruf’ ich an.« Dieser Josef ist der Alptraum aller Redakteure, denke ich. In Live-Sendungen mit Höreranrufen eine tickende Zeitbombe. Wenn er unhöflich wird und die Regie blendet ihn aus, fühlt er sich als mundtot gemachter Märtyrer bestätigt. Lässt man ihn reden, ist die sachliche Atmosphäre jeder Sendung im Eimer. Sein Handy klingelt erneut. Es geht, soweit ich unfreiwillig mithöre, nicht um die Sozialdemokratisierung der CDU, sondern um den Durchmesser eines Dichtungsrings für die Duschbrause. In Millimetern. Eine willkommene Gelegenheit, mich zu verabschieden. Zumal Josefs Frau, deren Betrachtung des Rentneralltags mich interessiert hätte, offenbar so schnell nicht vom Baumarkt zurück sein wird.
Die Halbhöhen-Wohngegend mit ihren scharf getrimmten Hecken und granitgepflasterten Hauseingängen kommt mir nicht mehr schläfrig, sondern lauernd vor. Josefs wacher Geist, seine überdurchschnittliche Bildung, sein stilvolles Heim konnten nicht den Eindruck kaschieren, dass er sich gekränkt fühlt. Dass er irgendwie beleidigt wurde, marginalisiert, um Einfluss und Bedeutung gebracht.
Dass er in praktischen Haushaltsdingen sogar zeitweilig überflüssig ist. Den »kränkenden Charakter des Berufsabschieds« 21 hat er in eine Art geistigen Kampf gewendet, in eine intellektuell anspruchsvolle, subtile Aggressivität. Also sitzt er mit dem Stenoblock vor dem Fernseher, lässt sich bestätigen, dass er auch mit seinen politischen Überzeugungen von der Mehrheitsgesellschaft nicht ernst genommen wird und – protestiert. Nicht wegen seiner selbst oder gegen seine Lebenslage, nein, er protestiert im Namen des Abendlandes. Es geht um Deutschland, mindestens.
7
KEINE LUST AUF IDEOLOGIE
Erzieherinnen in Kindergärten oder Kindertagesstätten haben so ihre
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