Altherrensommer
Darüber sinniert Opa nach, während er mit dem kleinen Mädchen zu einer Grundschule fährt und dort ihre zwei älteren Halbgeschwister abholt. Um die drei Kinder zu der Frau zu bringen, die jetzt bei seinem Sohn wohnt. Also zu der Stiefmutter seiner Enkelin. Irgendwas hat sich gedreht, denkt Opa beim Wäschewechseln daheim und erinnert sich: Als er so alt war wie sein Sohn heute und übers Wochenende seiner Freundin den ollen Kadett mit dem porösen Keilriemen auslieh – da trug er Rauschebart und Nickelbrille. So eine wie John Lennon sie hatte oder Mahatma Ghandi. Auf der Latzhose waren Friedenstaube-Button und »Atomkraft nein danke!«-Aufkleber
gut sichtbar angebracht. Den aromatisierten Tee trank man aus runden Tontöpfchen ohne Henkel, obwohl das höllisch heiß war an den Fingern. An der Innenseite der Wohnungstür in der Altbau-WG hing das schwarzweiße Fotoposter »Why?«, auf dem dieser Kämpfer im spanischen Bürgerkrieg gerade erschossen wird. Über dem Küchentisch hing ein riesiger weißer Ballon aus Japanpapier, und wenn man etwas essen, sagen oder tun wollte, fragte man die Freundin vorher: »Ist das okay für Dich, Du?« Die Freundin wiederum hatte, wie fast alle halbwegs linken Bürgertöchter ab 1980, Svende Merians »Tod des Märchenprinzen« gelesen. Von einer Hochzeit in Weiß träumte sie aber weiter. Und musste sich dafür gegenüber ihrer Dozentin im Fach Sozialwissenschaften rechtfertigen. Es waren schließlich Männer gewesen, die zwei Weltkriege, den Holocaust und den Vietnamkrieg verursacht hatten, und es war die Institution Ehe, die der Bourgoisie als Knebel und Knute gegen weibliche Selbstverwirklichung diente. Die beiden heirateten – sie in einem lindgrünen Kleid von Laura Ashley, er in einer schneeweißen Latzhose, beide in ihrem Opel Kadett zur Kirche fahrend. Sie machten selbstverständlich und ganz pragmatisch das, was Familientherapeuten später als »partnerschaftliche Aufgabenverteilung der Familienarbeit jenseits tradierter Rollenklischees« lobten. Dass man ihn, den langmähnigen Zauselbart mit Baby im Tragetuch, zehn Jahre später in Büchern und Zeitschriften als »Softie«, »Weichei« und »Frauenversteher« belächeln würde, konnte er damals doch nicht ahnen!
Die nach 1975 geborenen Frauen bekommen manchmal gesagt, Feminismus sei »die weibliche Seite der 68er« gewesen, aber das stimmt nicht. Auch linke Studentenrevolutionäre
konnten stockbürgerliche Machos sein. Und »Gretchen« Dutschke hieß nicht nur so, sie war zu Hause auch eins. 22 Die faktische Frauen-»Befreiung« im Arbeits- und Familienrecht, in der Politik, in der Kulturszene, in Wissenschaft und Wirtschaft kam nicht 1968, sondern zehn Jahre später und meist auf leisen Sohlen daher. Frauencafés, Frauenliteratur, Frauenhäuser, Frauenaktionstage, Frauenfußball, Frauenforschung und Frauenförderungsmaßnahmen entstanden eher evolutionär als revolutionär. Die weibliche Eroberung ehemals »typischer« Männerberufe wie Soldat, LKW-Fahrer, Boxer oder Bundeskanzler beobachtet Opa seitdem mit interessiertem Wohlwollen. Paradox männerfixierter Sprachgebrauch war ihm zwar manchmal aufgefallen: »die erste Frau in der Geschichte der bemannten Raumfahrt«, das »herrenlose Damenfahrrad«. Über die übertriebene Gegenreaktion, die politisch korrekte »frauengerechte« Sprache, macht er sich trotzdem hin und wieder lustig. »Liebe Anwesende, liebe Anwesendinnen«, »zeigen Sie mal Ihren Führerinnenschein«, »ist die Kontonummer auf der Überweisungsträgerin richtig?« Im Prinzip hat er aber nichts dagegen, dass »gerechter« gesprochen werden soll.
Die kulturellen Erbinnen von »Emma«, die heute 30jährigen Nutznießerinnen all der geschlossenen Gesetzes-und Bewusstseinslücken, verdrehen über Alice Schwarzer & Co genervt die Augen. Sie wollen alles sein, bloß keine »Kampf-Emanzen«. Das stellen Berliner Alt-68er und Hamburger Ex-Hausbesetzer genauso erstaunt bei ihren erwachsenen Töchtern fest wie Münchner Wackersdorf-Protestierer und Frankfurter Startbahn-West-Gegner. Die jungen Damen sind undankbar! Aus der Sicht ihrer Vorkämpferinnen zumindest. Wie lässig sie spotten können:
»Vorsicht. Bei weiblichen Partygästen über 50 mit Doppelnamen, hennagefärbten Haaren und gebatiktem Wickelrock muss jederzeit mit Barfußtanzen gerechnet werden!« 23 Und wie selbstverständlich sie ihren weiblichen Charme in der Arbeitswelt ausspielen können. Das verwundert sowohl deren Mütter wie die
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