Altherrensommer
dabei sehnsuchtsvoll seufzen oder beglückt kichern. Natürlich wissen die Werbe-Designer genau, dass Männer und Frauen über 50 solventer sind als das junge Gemüse auf den Werbeflächen und dass bei der »Generation Praktikum« weniger zu holen ist als bei den »Best Agers«. Trotzdem wetten Werbeleute darauf, dass die faltigen Alten die offensichtliche Lücke zwischen schönem Schein und unschönem Sein durch den Kauf diverser Konsumartikel brav schließen. Immer und immer wieder, Tag für Tag. – Schließlich sprechen über 200 Millionen Euro Jahresumsatz bei Herren-Kosmetika und steigende Milliardenumsätze in der Wellness-Szene eine deutliche Sprache. Wirklichkeitsnahe Identifizierbarkeit, Realitätsbezug und das in Seifenopern sorgfältig inszenierte »einer-wie-wir«-Feeling wird den Drehbuchfiguren zugestanden. Nicht aber den tatsächlichen, physisch anwesenden Figuren in der Schlange an der Supermarktkasse.
»Sich so annehmen, wie man nun mal geworden ist«? Gut und schön. »Lieber sich entfalten statt sich liften lassen«? Haha, richtig, ja. »Dem Unvermeidlichen das Positive abgewinnen?« O.k., versuchen wir’s. Die Ratgeberbücher, die »Personal Coaches«, die Psychotherapeutinnen und sozialdiakonischen Beratungsstellen haben ja recht! Aber nur im Kopf des sichtbar gealterten Mannes. Nicht in seinem Bauch. Und schon gar nicht in der Öffentlichkeit . Schließen wir also das Badezimmerfenster wieder und kehren vom schweifenden Blick über die Konsumgesellschaft zurück zum fokussierenden Blick in den eigenen Spiegel. Es gibt ein Körperorgan, das sich bei Erregung
um das Hundertfache vergrößern kann. Nein, nicht, was Sie wieder denken. Ich meine die Pupille. Und die entdeckt beim Anblick des allermännlichsten Körperteils eine weitere Lücke zwischen (Schönheits-)Wahn und (Alters-)Wirklichkeit. Diese Lücke wird seltsamerweise von den Frauen geschlossen, und da gibt’s die beruhigende und die eher beunruhigende Variante:
Badezimmerspiegel-Wahrheit Nr. 1: »Im Grunde bist Du unzumutbar. Nackt jedenfalls. Und frühmorgens erst recht.« (Warum sonst lassen sich Männer ab 50 nur notgedrungen in Gemeinschaftsunterkünfte einquartieren wie z.B. Berghütten oder Billig-Hotels mit Dusche am Ende des Flurs?)
Badezimmerspiegel-Wahrheit Nr. 2: »Aber Frauen finden Männer ja nicht wegen diesem Ding unter dem Bauch, sondern wegen aller anderen Dinge attraktiv! Du bist zwar hässlich, aber trotzdem für manche unwiderstehlich.«
Was finden Frauen an einem reifen Mann reizvoll? Suchanzeigen der Tages- und Wochenzeitungen, bei Elite Partner oder Parship legen nahe: Lebenserfahren soll er sein, verständnisvoll, einfühlsam, zuverlässig, selbstverständlich nicht unvermögend. Und wenn er Schutz und Geborgenheit bietet, Sinn und Geschmack für Kunst, Musik, Literatur und alles Schöne, Gute und Wahre auf der Welt hat, dann – jetzt kommt’s: » – ist das Äußere nicht so wichtig«. Ein Klassiker: »Ein ausdrucksvolles Gesicht, gepflegte Umgangsformen, Charme und Humor sind mir wichtiger als volles Haar.« Da sind sie also, die Frauen, die einen bzw. bestenfalls ihren Mann ehrlich und aufrichtig für all’ seine inneren Werte und charakterlichen Qualitäten lieben. Die zärtliche Zuneigung und achtsame Aufmerksamkeit,
Fürsorge und Hilfsbereitschaft zu schätzen wissen. Das ist, ganz im Ernst, sehr beruhigend und zudem eine große Gnade für den Mann! Die beunruhigende Variante der Überbrückung von Anspruch und Wirklichkeit, Selbstwahrnehmung und Außenwirkung ist diese: Wenn ein eher unansehnlicher Mann mit einer strahlenden Schönheit im Arm vorbeiflaniert, fragt sich die Zuschauergemeinde gemeinhin: »Was findet diese tolle Frau an diesem alten Sack?« Die stereotype Vermutung: »Geld.« Oder: »Soziale Aufwertung. So angesehen und mächtig, wie der wahrscheinlich ist.« Pablo Picasso heiratete mit 80 die 34jährige Jacqueline Rocque. Und was ist mit Udo Jürgens, Helmut Kohl, Jopi Heesters, Franz Müntefering, Oskar Lafontaine? Ist der heiratslustige Greis weder begabt noch berühmt, kommt ein anderes Erklärungsmuster zur Anwendung: »Die suchte einen Ersatzvater. Vielleicht hatte sie keinen?« Diese hobbypsychologische Ersatzvater-Erklärung kommt selbst dann, wenn der Altersunterschied weniger als 20 Jahre beträgt und die Dame die 35 auch schon überschritten hat.
Toll, mag sich der alternde Glatzkopf denken und streicht sich dabei selbstzufrieden über den Bierbauch: Dann hab’ ich ja
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