Altherrensommer
noch Chancen! Den ursprünglich ironisch gemeinten Satz »Erfolg macht sexy« sprechen körperlich unattraktive, übergewichtige und obendrein noch ungepflegte Männer gerne ironiefrei aus. Bitteschön, es gibt sie offenbar an jeder Ecke: Frauen, die einen Mann seines Geldes, seiner Macht und seiner Statussymbole wegen lieben. Oder zu lieben vorgeben. Ein Geschäft auf Gegenseitigkeit. Er darf sich attraktiv und verführerisch fühlen und kann den heimlichen Neid gleichaltriger Habenichtse genießen.
Sie darf sich der routinierten Lebensführung eines erfahrenen Mannes anvertrauen und muss nicht allzu viel Verantwortung selber tragen. »Down Dating« nennen das amerikanische Paartherapeuten: »Nach all den Enttäuschungen und Beziehungserlebnissen der letzten zehn, fünfzehn Jahre soll der Mann nun lieber treu ergeben als schön sein und die Qualitäten eines zuverlässigen Familienvaters mitbringen (...) Nach all den Pleiten mit gutaussehenden Karrieremännern sucht die gestresste Dame von Welt nun jemanden, der Bestätigung und Geborgenheit bieten kann.« 51
Na schön. Warum auch nicht? Wenn’s hält, bitte sehr. Einen Haken hat die Sache allerdings. Ab 60, spätestens ab 70, ist meist Schluss mit Erfolg und Macht und Ansehen. Hinzu kommt, dass das mit 50 noch ausreichend vorhandene Geld knapper wird, die Ansprüche auf Begehrt- und Beachtet-werden aber unverändert weiter bestehen. Ob sich ein Mann in Fitness-Studios, auf der Joggingstrecke oder auf dem Hometrainer körperlich knechtet oder ob er sich körperlich vernachlässigt – »Ansehen« ernten will er auf jeden Fall. So oder so. Alles darf ihm passieren, nur eins nicht: Ignoriert zu werden.
Könnte es also sein, dass das vielzitierte (und wirtschaftsfördernde) »neue Körperbewusstsein« der Sport- und Diät-Männer ab 50 einerseits und eine selbstgefällig-dickfellige Körpervergessenheit mancher Männer andererseits nur die zwei Seiten ein und derselben Medaille sind? Und die Medaille heißt »Verdrängung«? Die einen halten sich schon für wesentlich begehrenswerter, wenn sie nur 2 Kilo »runter« haben. Die anderen für immer noch begehrenswert,
auch wenn sie jährlich 2 Kilo mehr »drauf« haben. Beide aber wollen eins nicht wahrhaben: dass sie sowohl ihre Restlaufzeit als auch jegliche weibliche Aufmerksamkeit immer nur geschenkt bekommen.
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GISELHER UND DIE ALTERSPROSTITUTION
»Es war noch früh am Abend, als sich ein älterer Herr die Marmortreppe von der Kellerbar zu uns nach oben hochquälte. Ohne den vergoldeten Handlauf hätte es der Greis wohl kaum geschafft. ›Ich wollte bei dem netten jungen Mädchen bezahlen‹, sagte er mir mit schlaffer, luftarmer Stimme, ›und gab ihr einen 100-D-Mark-Schein. Beim Retourgeld behauptete sie aber, ich hätte ihr nur einen 50er gegeben. Wissen Sie, in meinem Alter hab ich’s doch nicht mehr nötig, hier zu betrügen!‹«
Diese Zeilen las ich im Manuskript eines Schweizer Bordellbesitzers. Ich rezensiere Bücher im Radio und bekomme infolgedessen hin und wieder skurrile Werke aus Eigenverlagen der Schreibenden zugeschickt.
»Da ich solche Fälle schon öfter in meinen Betrieben hatte, glaubte ich dem Rentner, nicht aber der Bardame. Ich fragte sie, wo das Geld sei, aber sie bestand darauf, nur 50-D-Mark bekommen zu haben. Ich durchsuchte alle Winkel der Bar und plötzlich kam mir der Geistesblitz. Ich griff ihr kurzerhand unter den Rock und holte die Hunderternote aus ihrer Scheide! Als ich mir die Hände gewaschen und den Geldschein gegen einen sauberen aus der Kasse ausgetauscht hatte, bat ich den Gast um Entschuldigung. Die Zeche gehe aufs Haus.«
Die Anekdote war überschrieben mit »Geld verdirbt den Charakter«. Stimmt, dachte ich. Bloß: welchen von beiden? Ich hatte das Manuskript längst vergessen, als auf einer Diakonie-Tagung die Chefin einer Reha-Klinik witzelte: »Prostitution ist im Grunde nur eine verschärfte Form der Altenpflege.« Alle grinsten, manche nickten. »In der medizinisch-geriatrischen Literatur gibt es zu diesem Thema nur gut abgehangene Texte. Hochseriös. Niemals von den
Betroffenen selbst.« Ich nahm mir vor, den Verfasser der Puff-Episode zu finden.
In Zeitschriften und Ratgeberbüchern werden die altersbedingt abnehmende Attraktivität des Körpers, der nachlassende sexuelle Anreiz und die zunehmende Gewöhnung aneinander als eine , wenn nicht als die Gefahr für Ehe und Partnerschaft beschrieben. Dementsprechend fleißig müsse am Erhalt von Schönheit
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