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Altoetting

Altoetting

Titel: Altoetting Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sobo Swobodnik
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auch im ganz konkreten Sinne. Doch, das gibt’s durchaus. So hungert sich also zum Beispiel der Woyzeck-Darsteller privat ausschließlich mit Erbsen die Kilos vom Leib. Method-Acting nennt sich das, vom Schauspiel-Guru Strasberg. Actors-Studio. America. Robert de Niro. Harvey Keitel. Warum also nicht auch schon vor der Bühne das sein, was man später auf der Bühne spielt? Das ist Identifizierung pur. Die Laienspieler wurden dadurch allerdings noch mehr verunsichert. Einerseits Bewunderung ob der Professionalität, andererseits aber auch Zweifel. Dazwischen reihenweise Erleichterung, weil der Verkauf von den Bratwürschten, den Rosenkränzen und den Schneekugeln mit Plotek wieder in greifbare Nähe gerückt war. Das freute die Altöttinger Laienspieler am meisten, da jeder mit seinen Händen auch irgendwie mit im Geschäft steckte – und nicht in der Unschuld. Wie so oft im Leben. Der Mammon, die Kohle, das Geld, der Zaster war auch in Altötting von immenser Wichtigkeit. Da alle Laienspieler auch irgendwie am Glaubensgeschäft partizipierten, wenn auch vielleicht nur durch einen Onkel, der Ansichtskarten verkaufte, war das Interesse am Gelingen der 1. Altöttinger Passionsfestspiele umso verständlicher. Quasi Pilotprojekt. Es ging hier weniger um den Kunstgenuss als vielmehr um eine weitere Attraktion. Zitat des Fremdenverkehrsdirektors Zeller: »Ein Event soll’s werden!« In Altötting, in der oberbayerischen Provinz, die sich nicht gerade durch ein herausragendes Freizeitangebot auszeichnet, sondern vielmehr als tote Hose verschrien ist, »wo Hund und Katz begraben sind, gute Nacht, Bordstein hochgeklappt und dann schnell mit den Hühnern ins Bett«.
    Von hier aus hat man schon immer argwöhnisch über den eigenen Tellerrand hinaus zu den andern hinübergeguckt. Aber nicht nach München oder Passau, weil Passau und erst recht München waren indiskutabel. Das war ein ganz anderer Lebensentwurf. Natürlich standen auch da Kohle, Geld und Zaster im Mittelpunkt. Aber doch ganz anders. Irgendwie diametral entgegengesetzt. In München ist man nur etwas, wenn man das, was man hat, und erst recht, das was man nicht hat, bereitwillig zeigt. In Altötting dagegen will man alles, hat meistens mehr und zeigt nichts. Also war der Blick nicht nach München gewandt, auch nicht nach Passau, sondern nach Oberammergau. Ja, Oberammergau war zwar nur zwei, drei Steinwürfe entfernt, aber leider nicht zu treffen, und erst recht nicht zu übertreffen. Daher war das Verhältnis Oberammergau-Altötting gar nicht gut, sondern kritisch. Ein Luftkurort auf der einen Seite, mit Rokokokirche und, als Publikumsmagnet, die Oberammergauer Passionsspiele. Auf der anderen Seite die Altöttinger mit ihrem Wallfahrtsort und bisher ohne Passionsspiele. Es gab argwöhnische Beobachtungen hin und her. Auch viel Neid. Aber nie offiziell. Wir haben unsere Wallfahrer, hieß es immer, und die ihre Passionsbesucher! Inoffiziell dagegen hörte sich das schon anders an. Warum nicht das eine mit dem anderen verbinden? Also, warum nicht Wallfahrt und Passion kombinieren, aus eins zwei machen. Was, bitte schön, spricht gegen eine Passionszweigstelle in Altötting. Wenn’s nicht anders geht, auch eine Passionszweigstelle aus Oberammergau in Altötting. Ein kleines Oberammergau in Altötting und als Umkehrschluss, quasi eine Hand wäscht die andere, ein Altöttinger Wallfahrtsableger in Oberammergau. Das wäre sicher zu machen gewesen, irgendwie. Es wäre zum Beispiel eine feierliche Überstellung einiger zweitklassiger Altöttinger Ikonen und Reliquien nach Oberammergau möglich gewesen. Ein paar Mirakel- und Votivtafeln, ein paar Urnen mit den Fürstenherzen oder sogar eine geweihte Kopie der Schwarzen Madonna. Im Gesamten gesehen hätte es auf eine Kooperation hinauslaufen können, ein Altöttinger-Oberammergauer Kombi-Projekt. Das war die Idee von Arno. Und die von seinem Vater, dem Ersten Bürgermeister von Altötting. Weil der immer schon hoch hinaus wollte. Den Bekanntheitsgrad steigern, mit touristischen Höhenflügen und der Weltpresse. Was der Sohn mit der Schauspielerei, im Namen des Vaters, nicht geschafft hatte, hätte nun Altötting, im Namen des Herrn und unter Mithilfe von Oberammergau besorgen sollen. Theoretisch war das eine gute Idee. Praktisch aber unmöglich. Selbstverständlich wurde mit Oberammergau verhandelt. Idee: Joint Venture. Aber die Oberammergauer waren sturer als gedacht, was so viel bedeutet wie überhaupt nicht kooperativ.

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