Altoetting
doppelt so stark.
Aber weit gefehlt. Nichts war mit Proben, zumindest nicht mehr an diesem Tag.
»Morgen ab zehn«, sagte Pater Manuel, Assistent vom Niederbühler: »Am Originalschauplatz, Sie wissen, wo das ist?«
Natürlich wusste Plotek das nicht. Woher auch. Plotek wusste gar nichts bis jetzt. Aber das sollte sich ändern.
»Auf dem Bruder-Konrad-Platz«, sagte Manuel, »vor der Basilika. Die Kulisse steht schon.«
»Gibt’s einen Text?«
»Ja, morgen, aber das dürfte für Sie kein Problem sein. Ist nicht viel!«
»Was? Aber ich dachte . . . Hauptrolle!«
»Jaja, schon irgendwie, aber trotzdem wenig Text. Sie werden es ja morgen selbst sehen.«
Hat er dann auch. Doch bis dahin musste Plotek auch noch ein paar ganz andere Dinge sehen.
Am frühen Abend war Plotek endlich wieder zurück im Hotel. Zur Eintracht stand beleuchtet über dem Eingang. Unten war die Gastwirtschaft, oben waren die Zimmer. Dazwischen war überall Sauerkrautgeruch, vor allem im Treppenhaus. Es gab immer ein wechselndes Tagesgericht mit Speiseplan-Schwerpunkt. Diese Woche waren Sauerkrautgerichte dran. Montag Sauerkraut mit Kassler und Kartoffelpüree. Dienstag Sauerkraut mit Altöttinger Bratwürscht und Bratkartoffeln. Mittwoch gefüllte Kohlblätter mit Sauerkraut und Speck, dazu Salat. Donnerstag auch Sauerkraut mit Hackfleischbällchen und Rote Rüben. Freitag Sauerkrautauflauf. Nächste Woche war dann der Speiseplan-Schwerpunkt Nudeln.
Außer Plotek waren im Hotel nur Wallfahrer. Also mäßige Auslastung, oder kaum was los. Das sollte sich alles ändern, wenn erst mal die Passionsfestspiele die Massen anlockten, das war die feste Überzeugung der Wirtin. Plotek war deshalb von Anfang an gern gesehen. Natürlich hat er jetzt auch das schönste Zimmer bekommen, nach vorne raus mit Blick auf den Minimal. Der Blick war schön, aber der Geruch war der gleiche wie im Treppenhaus – unerträglich. Das ganze Zimmer war eingehüllt in eine Sauerkrautwolke. Es roch wie im Kochtopf. Plotek riss sofort das Fenster auf. Eine kühle Abendluft wehte herein, es war eine frische Brise Altöttinger Landluft, die den Sommer im Gepäck hatte. Es roch nach Land, nach Natur, ein wenig nach Weihrauch und vor allem nach der Prophezeiung morgendlicher Sonne. Plotek ist ein olfaktorischer Mensch mit einer Nase wie ein Seismograf. Bevor Plotek etwas versteht, hat er es schon lange gerochen. Er hatte einen Zinken wie eine Wünschelrute, die anschlägt und riecht, wo andere noch nicht einmal daran denken. Auf Ploteks Nase war schon immer Verlass, auf alle anderen Sinnesorgane weniger. Bei Augen und Ohren war die Täuschung im Prinzip vorprogrammiert. Gehört hat Plotek noch nie gut, gesehen nur, was er wollte. Außerdem war er der festen Überzeugung, dass den Düften mehr zu trauen ist als Worten und Bildern. Zum Beispiel sahen Ploteks Augen jetzt etwas, und Plotek traute ihnen nicht, obwohl es eindeutig war. Ja, als er sein Plumeau vom Bett hochzog, um darunter wegzutauchen, weil er hundemüde und angetrunken vom Empfang war, kam eine plötzliche Überraschung zum Vorschein. Auf dem Bett lag nicht wie in vielen Hotels auf dem Kopfkissen eine Süßigkeit, Gummibärchen, Schokoriegel und alles. Nein, dieses Mal war es nicht für den Mund, sondern für’s Auge. Ein Zettel lag da, Handgeschriebenes auf Karopapier.
siehe, ich sende euch wie schafe mitten unter wölfe, darum seid klug wie die schlange und ohne falsch wie die taube
Bei Plotek war wie gesagt auf die Augen kein Verlass. Deshalb hat er das auf dem Zettel Stehende mehrmals gelesen. Trotzdem klang es noch immer kryptisch. Schließlich wurde doch noch eine Gedankenlawine losgetreten. Plotek war plötzlich wieder hellwach. Er probte sich in Interpretationsversuchen, stellte Fragen über Fragen. Was hat das zu bedeuten? Schafe, Wölfe, Schlange, Taube? Und was hat das alles mit ihm zu tun? Er wollte weder mit Schlangen, Schafen, Wölfen noch mit dem Zettel etwas zu schaffen haben. Und dennoch konnte er die Frage, wer den Zettel hingelegt hatte, nicht ganz verdrängen. Ein Gedanke ergab den nächsten und alle zusammen ergaben ein unlösbares Knäuel mit festgezurrtem Knoten im Kopf.
Die ganze Nacht über hat Plotek kein Auge zugemacht. Er hat Gedanken gewälzt, Knoten gelöst, Knäuel verknotet und Knoten verknäuelt und sich dabei immer wieder von links nach rechts und von rechts nach links gedreht. Bis er plötzlich ein Geklingel hörte. Ist es der Kopf, undankbar vom vielen Denken, oder
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