Altoetting
Marienerscheinung wurden erarbeitet, mit dem Arbeitstitel: »Die Muttergottes ist wieder da!«
Natürlich erscheint die Heilige Jungfrau Maria nicht unbedingt, wenn es die Mächtigen von Altötting gerade wollen. Deshalb hätte eben unauffällig nachgeholfen werden müssen. Heilige sind selbstverständlich mit viel gutem Willen und unerschütterlichem Glauben klar zu erkennen, wo mangelnder Glaube nichts sieht. Prädestiniert für Sichtungen dieser Art wäre, neben den obligatorischen Kindern, ein Klosterbruder oder Pater vom Kapuzinerkloster gewesen. Der Guardian Martin, also quasi der Chef vom Kloster, war nicht abgeneigt, dass einem seiner Schützlinge, konkret hatte er seinen Lieblingspater Manuel im Auge, vielleicht beim mitternächtlichen Gebet, die Jungfrau Maria erschiene. Manuel war hoch sensibel und empfänglich für Stimmen aus dem Bereich des Allmächtigen. Das wusste nicht nur der Guardian, das war im ganzen Kloster und auch in ganz Altötting bekannt. Der junge Pater hatte schon öfters mit solcherlei auf sich aufmerksam gemacht. Er hatte ein Gespür für Stimmungen und Atmosphären, sah Außerordentliches, wo andere blind waren. Zum Beispiel erkannte er Farben in der Luft, über den Köpfen, Strahlen, eingefärbte Aura und alles. Lila Kühe und ampelrote Menschen. Auch für Weissagungen war Pater Manuel immer gern zu haben. Er hat auch Horoskope für die Kollegen, also Klosterbrüder und Patres, erstellt und Kontakt zu ihren Verstorbenen aufgenommen, allerdings geheim, weil es nicht gern gesehen wurde im Kloster. Glaube war erlaubt, Okkultismus weniger und Telepathie bloß nicht!
»Einen besonderen Draht zu Gott hat unser Manuel«, hob der Guardian die Fähigkeit des Paters hervor.
Er schmückte sich gern mit fremden Federn. Das Wunder gab es also nur mit Zustimmung vom Klosterchef. Alles andere wäre dann die Aufgabe von Arno gewesen. Man hätte in allen Zeitungen Meldungen lancieren müssen. Fernsehsender, Sondersendungen, Brennpunkte. Das Unglück von Lassing quasi im positiven Sinne. Die Erscheinung von Alt ötting. Ein Event, das nicht hätte getoppt werden können. Das wäre auf Jahre hinaus ein Schlaraffenland für die Gewerbetreibenden gewesen. Aber auch fürs Kloster, den Guardian, den Orden, die Wallfahrt – eben für die ganze Stadt. Dafür gab es bereits Pläne bis ins kleinste Detail hinein. Natürlich wäre das nur schwerlich ohne grünes Licht aus Rom, vom Vatikan, zu machen gewesen. Es bedurfte einer Absicherung von oben. Bei der derzeitigen labilen Verfassung vom Papst war das allerdings fraglich. Außerdem fehlte dafür den Stadtoberen dann doch die Courage. Man wollte eine Absage nicht riskieren. Deshalb wurde die zweite Variante in Betracht gezogen, mit kleinerem Zuschnitt aber größeren Realisierungsaussichten. Die Passionsfestspiele eben. Sicher würden die nicht den Erfolg, sprich die vielen Besucher der Marienerscheinung garantieren, aber ein Besucheranstieg wäre auch mit den Passionsspielen im Sommer zu erzielen. Die Folge wäre auch da, mehr verkaufte Rosenkränze, Schneekugeln und Bratwürscht. Außerdem Übernachtungen und alles. Kurz, bessere Zeiten für jeden.
Das war der Grund für den fehlenden Neid und die fehlende Missgunst der Laienspieler gegenüber Plotek und seiner Rolle. Hauptrolle!, wie Arno beteuerte. Judas und Jesus. Die beiden Protagonisten in der neu bearbeiteten Fassung von Studienrat a.D. und Spielleiter Niederbühler fürs Altöttinger Passionsspiel. So genau kannte Plotek die Leidensgeschichte Jesu mittlerweile auch nicht mehr, dass er schon von Anfang an hätte wissen müssen, dass das mit Jesus und der Wichtigkeit zwar noch hinkommen könnte, aber dass der Judas dann doch eher eine Randfigur ist. Aber egal. Es herrschte also einhellige Freude über Plotek. Obwohl viele etwas skeptisch waren. Nicht wegen Plotek als Schauspieler, sondern wegen Plotek ganz persönlich. Jetzt rein äußerlich.
Wobei außen und innen ja irgendwie immer in irgendeinem Verhältnis zueinander stehen. Ploteks schlampiges Aussehen hat viele der Laiendarsteller vom Altöttinger Passionsspiel schon ein wenig irritiert. Hier war eben Altötting und nicht Berlin, Hamburg oder Frankfurt. Also, nichts mit überproportionaler Arbeitslosigkeit, keine sozialen Abgründe, kaum Verwahrlosung, sondern: Bayern! Provinz, Kleinstadt, geordnete Verhältnisse und Mittelstand. Alles war hier sauber, zuvorkommend und nichts durcheinander. Da ist Plotek natürlich aufgefallen mit seinen
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