Altoetting
Profilierungssüchte. In Altötting war das offenbar nicht der Fall. Natürlich gab es auch hierfür einen Grund. Wie es eben für fast alles einen Grund gibt. Die einzige Ausnahme war die Verlobung von Plotek. Die war völlig unbegründet – es gab keine Liebe, keine Notwendigkeit, kein gar nichts. Es geschah einfach aus einer Laune heraus. Nicht einmal nur der seinigen, sondern vor allem der ihrigen. Der Grund für die Altöttinger Laienspieler dagegen lag auf der Hand. Oder besser, bildlich jetzt, in der Hand. Der Grund waren die Rosenkränze, Schneekugeln und Bratwürscht, also das Geschäft. Alle Laienspieler hatten irgendwie auch einen Bezug zu den Rosenkränzen und Schneekugeln, soll heißen, bezüglich des Verkaufs. Und der war stockend und ging in den letzten Jahren nicht richtig voran. Die Wallfahrer wollten offenbar nicht mehr so viel wallfahren. An Pfingsten, Ostern und Weihnachten kamen zwar noch Tausende. Aber dann wurde es immer dürftiger. Übers Jahr hinweg waren es zu wenig. Viel zu wenig. Wenn um das Pfingstfest herum nicht die Fußpilger wären, hätte es ganz düster ausgesehen, dann quasi gute Nacht. Allein 5000 kamen jährlich aus dem Erzbistum München und Freising. Na ja, und außerdem waren viele Gewerbetreibende auch noch hoch verschuldet, wegen der Renovierung, Sanierung, Modernisierung und Vergrößerung der Verkaufsläden und Andenkenshops. Deshalb waren auch die Passionsspiele ja eigentlich eine Erfindung der Gewerbetreibenden, repräsentiert durch die Person des Helmut Regler. Um das Geschäft der Altöttinger Gewerbetreibenden anzukurbeln kamen in Personalunion Regler, Brunner junior und senior sowie Zeller auf die Idee, der Stadt Altötting unbedingt in absehbarer Zeit ein Event zu verschaffen. Es wurde also insbesondere wegen der rückläufigen Erfolgsquote, d. h. den Umsatzeinbußen beim Verkauf der Andenken mit bedrohlich fallender Tendenz nach unten, über die Vermarktung Altöttings spekuliert. Das Wallfahrtsort-Konzept musste neu überdacht werden. Zitat Regler: »Liebe Leute, man kann nicht immer so weitermachen wie bisher!«
Die Folge war heftiges Nicken von Brunner senior, Klatschen von Brunner junior und Seufzen von Zeller. Innovation stand im Raum. Verschiedene Varianten wurden davon abgeleitet, um in Zukunft der Stadt Altötting und seinen Gewerbetreibenden mehr Besucher zuzuführen. Der erste Vorschlag von Zeller, dem Fremdenverkehrsdirektor, war: ein Wunder. Ja, die Vergangenheit sollte einfach noch einmal kopiert werden. Was drei Mal war, kann auch ein viertes Mal sein. Auch die ersten drei Wunder von Altötting waren scheinbar von langer Hand geplant, zumindest behaupteten das die Spötter. Irgendwann vor Jahrhunderten hat das Wunder das erste Mal gewundert. Warum gerade in Altötting, darüber hat sich im Nachhinein eigentlich niemand mehr gewundert. Es waren die besten Voraussetzungen vorhanden. Der Mutterboden für ein Wunder war in Altötting bereits bestens präpariert. Es gab ein Kloster mit Stiftskirche, eine benachbarte herzogliche Kleinstadt, ein stilles Dorf, gute Straßen und alles. Im Prinzip perfekt. Wenn nicht in Altötting ein Wunder stattfinden sollte, wo denn dann? Die Jungfrau Maria konnte also kommen. Und sie kam, rabenschwarz als Statue und einzig neben der Rundkapelle nach einem fürchterlichen Brand übrig geblieben. So die Legende. Dann, drei Jahrhunderte später, das zweite und dritte Wunder: Ein ertrunkenes Kind und ein zerquetschtes Kind – zuerst waren sie tot, dann wieder putzmunter, dazwischen lag die Anrufung der Muttergottes vor dem Marienbild in der Gnadenkapelle. Danach ging der Run auf Altötting los. Die Wallfahrt konnte beginnen. Und sie begann. Verständlich eigentlich, weil jeder seine zerquetschten und ertrunkenen Kinder wieder aufpäppeln lassen wollte. Aber auch die, bei denen die Kinder noch nicht tot, sondern krank waren, kamen. Bis in die jüngste Vergangenheit hinein. Zigtausende waren es. Einen Riesenboom gab es Anfang der Achtziger. Damals war auch Papst Johannes Paul II. vor Ort. Danach folgte ein stetiger Abfall. Der Glaube verlor zusehends an Gewicht. Also wäre jetzt der richtige Zeitpunkt, um an die Vergangenheit noch einmal anzuknüpfen. Ein viertes Wunder für Altötting musste her. Ein erneuter Hauch der schwarzen Gottesmutter in Oberbayern war erforderlich. Dafür gab es dann nach kurzer Zeit schon konkrete Pläne in den Schubladen von Regler, Zeller und Brunner. Vermarktungskonzepte bezüglich einer erneuten
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