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Altoetting

Altoetting

Titel: Altoetting Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sobo Swobodnik
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ausschließlich Absagen war klar, der Einzige, der übrig bleibt und somit in Frage kommt, war Arnos früherer Kommilitone Plotek. Das bedeutete also: Plotek suchen, Plotek finden und Plotek hierher bringen.

    Bei allem Wohlwollen gegenüber Plotek war der Vorbehalt im Großen Sitzungssaal des Altöttinger Rathauses bei einer am größten: der Zeller Froni. Der Natassja Kinski von Altötting. Aber, vergiss es. Mit der Kinski hat die Froni so viel zu tun gehabt wie Plotek mit Brad Pitt. Die Zeller Froni war ungefähr zweimal die Kinski. Überall, also rein körperlich. Ja gut, sie hatte ein schönes Gesicht, vor allem die Augen, die waren rabenschwarz, das sieht man selten. Aber eben Kinski mal zwei. Der Grund war Weihenstephan oder besser das Bierbraustudium oder noch besser der Hang zum Gerstensaft. Weihenstephan liegt bei Freising und Freising hat einen S-Bahn-Anschluss nach München. Und München ist eine
    Großstadt, zumindest für die Altöttinger und also auch für die Zeller Froni. Die Folge war, dass Froni ein Großstadtmensch, mit Großstadtoutfit war und quasi Plotek nicht unähnlich. Vordergründig. Hintergründig aber war sie ganz anders. Trotz dem Gepiercten in Nase und Augenbraue, in Zunge und Bauchnabel, der Tätowierung auf dem Oberarm und den Schlabberklamotten, die die Zeller Froni vollständig unförmig haben aussehen lassen, ist das Kleinstädtische nicht ganz wegzuretuschieren gewesen. Im Gegenteil, es hat das Provinzielle sogar noch verstärkt. Das ist häufig so – versucht man ganz besonders sorgfältig etwas zu vertuschen, fällt es umso frappierender auf. Bei der Zeller Froni ganz besonders. Die ganze Zeller Froni war ein einziges Abbild von etwas, das ganz anders ist als das, was es vorgibt zu sein. Einerseits verkörperte sie also die Weltstadt aus dem Otto-Katalog. Andererseits hatte sie die Provinz im Blut. Oder: Hinter der gewollten Weltstadt von Otto Normalverbraucher verbirgt sich meistens die blutige Provinz.
    Für Plotek war es gänzlich unverständlich, weshalb sich die Zeller Froni überhaupt an so etwas, aus ihrer Sicht Abartigem, wie den Passionsspielen beteiligte. Und dann auch noch als Jungfrau Maria. Theoretisch gibt es dafür mehrere Gründe. Zum Beispiel die Zeitgeisttendenz. Also, so wie heute die Schlager von früher bei der Jugend wieder Gefallen finden (zwar anderes Outfit und andere Interpreten), so hätten auch die Passionsspiele wieder zum Mega-Event werden können. Quasi der Dieter-Thomas-Kuhn-Effekt. Aber weit gefehlt. Der Grund war praktisch ein ganz anderer.
    »Kann ich dir erklären!«, hat die Zeller Froni gesagt, ohne dass Plotek danach gefragt hätte, weil er noch immer Löcher in die Luft schaute.
    »Zeller mein Name. Veronika Zeller. Tochter vom Fremdenverkehrsdirektor. Alles klar?«
    Plotek war noch immer die Lethargie in Person. Also keine Antwort von ihm, nicht einmal ein Nicken, sondern nur Schauen. Außerdem hatte er, trotz Aspirin, noch immer Schädelbrummen, sogar vermehrtes Schädelbrummen, jetzt als er die Stimme von Froni hörte. Die ging wie ein glühender Draht durch Nervenzellen, hoch klingend, fein, fiepend, schrecklich. Es war eine Stimme nahe des Flageolett-Tons.
    Die Zeller Froni hat gleich wieder losgelegt und weitergefiept:
    »Mann, mein Alter lässt mir keine andere Wahl. Ich muss. Ich muss die Jungfrau Maria spielen, sonst gibt’s keine monatliche Knete mehr. Verstehst du? Und ohne Knete von meinem Alten muss ich neben dem Studium jobben. Und wer will das schon? Ich nicht! Also spiel ich hier eben die Jungfrau, um mir in Weihenstephan dann mit der Kohle von meinem Alten einen schönen Lenz zu machen. Klar?«
    Natürlich hätte Plotek »Ja« sagen können, wenn er hätte »Ja« sagen wollen. Aber er wollte nicht »Ja« sagen, obgleich er mehr von der Zeller Froni verstanden hatte, als die womöglich sagen wollte. Plotek wollte auch nicht »Nein« sagen oder sonst irgendetwas. Er wollte überhaupt nichts sagen, zu keinem und schon gar nicht zur Zeller Froni. Plotek hat weder die Zeller Froni interessiert, noch das, was sie sagte. Plotek hat gar nichts interessiert. Also hat er auch nichts gesagt. Gar nichts. Womöglich war das dann auch der Grund, warum die Froni von da an immer so abweisend zu Plotek gewesen ist. Aber egal.
    Nach dem kleinen Umtrunk im Rathaus hat Plotek dann gedacht, jetzt geht’s gleich los mit den Proben. Es ist ja nur noch wenig Zeit. Die Premiere klopft quasi schon an die Tür. Und bei einer Hauptrolle klopft die

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