Altoetting
das Telefon?, überlegte er. Ringring. Mitten in der Nacht. Die Leuchtdioden des Radioweckers zeigten null drei zwölf, drei Uhr zwölf. Ringring. Die Ohren folgten dem Geräusch zum Nachttischchen. Also war es doch das Telefon.
»Ja!«
Zuerst hörte er nur eine lange Pause, nur Atem, langsam, gleichmäßig, nur Schnaufen, immer wieder Schnaufen. Sonst nichts.
»Hallo, ist da wer?«, hat Plotek gefragt, ganz intuitiv, obwohl er natürlich wusste, dass da jemand sein musste, weil ein Nichts atmet nicht, ein Niemand ruft auch nicht an, also war da jemand, nur wer? Das war ihm eigentlich egal. Plotek hat sich nicht für das Schnaufen anderer interessiert. Zumindest nicht mitten in der Nacht. Trotzdem konnte auch Plotek seine Gedanken an einen Zusammenhang mit dem Zettel auf dem Bett nicht ganz unterdrücken. Auch wenn er wollte, die Gedanken waren trotzdem da. Er wollte schon wieder auflegen, was durchaus möglich gewesen wäre, weil es kein Handy war und es eine Gabel gab. Dann hörte er plötzlich kein Schnaufen mehr, sondern eine Stimme, ganz fies, ganz verstellt, wie durch Stoff gesprochen. Quasi undercover. Es war ein Mann oder eine Frau, keine Ahnung. Von beidem hatte die Stimme etwas. Es war eine eigenartige Mischung, irgendwo zwischen Verona Feldbusch und Ottfried Fischer. Es wurde geflüstert und zwar nur ein Wort: »Matthäus!«
Dann wurde wieder aufgelegt, na ja, höchstwahrscheinlich war das auch ein Handy, aber egal, auf jeden Fall war das das Ende der Durchsage.
Matthäus? Matthäus? Matthäus? Matthäus war einerseits Rekordnationalspieler und andererseits auch Evangelist, ist es Plotek im Kopf herumgegangen. Der Fußballer scheidet eher aus, weil der Wolf, die Schlange und die Schafe und »siehe ich sende« auf dem Zettel doch mehr mit dem Evangelisten zu tun haben könnten, also mit dem Evangelium, dem Neuen Testament. Ein Zusammenhang zwischen dem Zettel und dem Anruf lag auf der Hand. Ob Plotek das nun wollte oder nicht, ganz egal, der Zusammenhang stellte sich ein, zumindest im Neuen Testament und in Ploteks Kopf. Sicher gab es da einen Zusammenhang, eine Verbindung, wenn sie auch jetzt unterbrochen war. Das eine hatte mit dem anderen zu tun. Aber was und warum? Kaum war die Frage gestellt, hat das Telefon schon wieder geklingelt. Wieder das gleiche Spiel, die gleiche Stimme. Wieder nur ein Wort:
»Topf!«
Topf? Topf? Topf? Sauerkraut kam Plotek in den Sinn und die wechselnden Tagesgerichte. Noch immer hing der Geruch im Zimmer, trotz des weit geöffneten Fensters. Nächste Woche gibt’s Spaghetti und Penne, mmmmh, hat Plotek gedacht. Und dann: Topf und Matthäus, Schafe und Wolf, Wolf im Schaf und alles im Topf: Matthäus Judas Kopf Schmerz Gedanken. Im Topf alles Evangelium oder wie oder was, hat sich Plotek durch sein gedankliches Chaos hindurchgequält. Dann fiel ihm ein, dass bei dieser spärlichen Informationsbereitschaft des Anrufers oder der Anruferin der Matthäus und der Topf sicher auch in einem Anruf unterzubringen gewes . . . – der Gedanke war noch nicht einmal zu Ende gedacht, da hörte Plotek schon wieder ein Klingeln. Dieses Mal war kein Atmen zu vernehmen, auch keine Pause, sondern gleich ein Wort: »Verschwinde!«
Das war eine andere Stimme und überhaupt klang es ganz anders. Komisch. Danach war wieder Ende der Durchsage und anschließend kein Anruf mehr. Die Folge war wieder ein Gedankenwirrwarr bei Plotek und wieder kein Durchblick. Verschwinde Matthäus im Topf topfe Matthäus geschwind vertopfe Thäus mat schwindschwind matschwind geh Topf Schmerzzzzzzzzzzzzzzzz – Verschwinde. Diese Information war, trotz gedanklicher Irrungen und Wirrungen, eindeutig. Ja, es gab keinen Zweifel, das »Verschwinde« galt ihm, Plotek. Die anderen beiden offenbar auch, die waren aber weniger verständlich. Es waren also drei Worte von zwei verschiedenen Personen, nachts, um mittlerweile drei Uhr fünfzehn Leuchtdiodenzeit. Drei Worte, zwei verschiedene Stimmen, die nicht in Zusammenhang gebracht werden konnten. Weder die Stimmen noch die Worte. Bis auf das letzte, also »Verschwinde«, waren die anderen rätselhaft. Das »Verschwinde« war klar, das »Verschwinde« war unmissverständlich. Kaum angekommen, soll ich schon wieder verschwinden, hat Plotek gedacht und gemerkt, wie sich, innerlich sozusagen, alles weigerte. Das war ein altbekannter Mechanismus bei ihm. Psychologie jetzt wieder. Verweigerungshaltung. Dickköpfigkeit gepaart mit Erratik. Nein, nicht Erotik, Erratik. Erotik
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