Altoetting
Absätze, quasi X-Beine.
»Beim Schalung abnehmen wurde der Fuß entdeckt!«, rief Pater Manuel Plotek zu.
Er verlor kein Wort über die Verspätung. Das war auch wieder von Vorteil. Auffällig war auch, dass Manuel anstatt von dem Schuh oder eigentlich von der Schuhsohle, weil mehr war nicht zu sehen, gleich vom Fuß geredet hat. Wo ein Fuß ist, ist auch ein Bein, wo ein Bein, ein Körper, und wo ein Körper, meistens gleich ein ganzer Mensch. War auch einer. Aber nicht irgendeiner. Nein, nachdem die Feuerwehr mit Hilti und Meißel den Beton aufgeklopft hatte, ist der Fuß, das Bein und der ganze Körper, noch immer von Betonrückständen eingefasst, zu erkennen gewesen. Jetzt ist den Schaulustigen nicht nur das Lachen ganz vergangen, sondern es wurde auch geweint und die Hände wurden wie Fächer vor die Augen gelegt. Quasi noch immer Schauen, aber nur noch durch Schlitze.
»Das ist der Mutschler!«, hat die Zeller Froni ausgerufen und sofort angefangen zu weinen, dass der Spielleiter Niederbühler sie zum Argwohn der Frau Gaby Mand tröstend an seine breite oberbayerische Schulter gedrückt hat.
Natürlich war Plotek sofort klar, dass nach dieser Reaktion von der Zeller Froni Mutschler nur der vermisste Judas sein konnte. War er auch. Der mittlerweile seit fünf Tagen vermisste Judas war offenbar die ganze Zeit über tot im Beton gelegen, eingegossen zwischen den Schalungstafeln der neuen Mehrzweckhalle. Wäre der Fuß von Mutschler nicht zufälligerweise so hingerutscht, dass er direkt mit der Schuhsohle an der Schalungstafel zu liegen gekommen wäre, dann, ja dann wäre Mutschler vermutlich nie entdeckt worden. Dann hätte der hineingegossene Beton Mutschler ganz umschlossen. Das wäre ein hundertprozentiges Betongrab gewesen, und dann: Ruhe in Frieden, für ewig, Amen. Wenn nächstes Jahr in der neuen Mehrzweckhalle die Altöttinger Musikkapelle ihr 35-jähriges Jubiläum gefeiert hätte, hätte Mutschler zwar nicht mehr die Posaune gespielt, wäre aber doch irgendwie noch dabei gewesen. Das ist immerhin ein tröstlicher Gedanke. Aber, vergiss es! Das war jetzt vorbei. Mutschler ist sofort ins Gerichtsmedizinische Institut nach München gebracht worden, um da die Todesursache feststellen zu lassen. Denn dass sich Mutschler freiwillig da in die Schalung hineingelegt hat, war äußerst unwahrscheinlich. So blöd war der Mutschler nicht, obwohl er nicht gerade eine Leuchte gewesen ist. Er war eher nicht allererste Altöttinger Intelligenz. Aber dafür ein hervorragender Posaunist.
Bevor die Proben für Plotek jetzt also überhaupt anfangen konnten, waren sie schon wieder zu Ende. Im Angesicht von Mutschlers grausamem Tod konnte niemand von der Laienspielgruppe jetzt an Proben denken. Also, nicht einfach Übergang zur Tagesordnung. Dafür haben schon die Mühldorfer Kriminalen jetzt vor Ort gesorgt. Hektisch sind sie herumgewuselt und haben eine Geschäftigkeit an den Tag gelegt wie selten. Das war offenbar ihre große Stunde jetzt, hätte man beim Anblick der aufgescheuchten Mühldorfer Kriminalpolizei denken können. Ja, weil so ein augenscheinlich Ermordeter stellt doch eher einen der Höhepunkte im Polizeidienst der oberbayerischen Provinz dar. In der Regel gibt es da Messerstechereien, Schlägereien, auch mal eine versuchte Vergewaltigung, aber ansonsten wird da eine ruhige Kugel geschoben. Auf die Dauer ist die dann zu ruhig. Das Spektakulärste ist meistens, wenn glaubensvernarrte Wallfahrer ihrer Überzeugung Andersglaubenden oder Garnichtglaubenden gegenüber tatkräftig Ausdruck verleihen. Das reicht dann von schwerer Körperverletzung bis hin zum Totschlagversuch. Das kommt aber höchstens einmal im Jahr vor. Wenn überhaupt. Aber einen richtigen Mord – vergiss es. Deshalb hätte der tote Mutschler im Beton durchaus als kriminalistisches Event im langweiligen Polizeialltag gelten können. Hat er auch. Endlich ein richtiger Kriminalfall. Endlich Gelegenheit, allen möglichen verbeamteten Profilierungssüchten nachzukommen. Natürlich waren die Mühldorfer Kriminalbeamten, nur an Schlägereien und Vergewaltigungen geschult, mit einem Mord völlig überfordert. Da wusste die rechte Hand nicht, was die linke tat. Die Folge war ein unbeschreibliches Chaos. Schon vor Ort an der Mehrzweckhalle haben sie sich ziemlich ungeschickt angestellt. Zunächst wurden alle Schaulustigen festgehalten und sofort unter »dringenden Tatverdacht« gestellt. Dann wurde ein »weniger dringender Tatverdacht« daraus und
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