Altoetting
Spurensicherung der Kriminalpolizei auch noch die anderen Betonmauern des Mehrzweckhallenrohbaus auseinandergeklopft. Das war noch mehr Schweinearbeit. Aber auch da war nichts zu finden, zumindest kein Hemd und auch kein Pullover. Dafür haben sie anderes, augenscheinlich Unbedeutendes entdeckt. Auch das wurde in Gefrierbeuteln ins Untersuchungstechnische nach München abtransportiert, weil es da Spezialgeräte, hochempfindliche Mikroskope, Laser und alles gibt. Die Ergebnisse gab es dann, trotz Überstunden und Sonderkommission, erst 24 Stunden später. Bis dahin sind die Kriminalbeamten dann ziemlich in der Luft gehangen. Deshalb wurden die auch mit zunehmender Zeit immer nervöser. Geradezu hysterisch haben die sich bei den Ermittlungen jetzt aufgeführt. Zum Teil wurden die Laienspieler mehrmals verhört und immerzu das Gleiche gefragt. Entweder haben das die Kriminalen im Übereifer gar nicht gemerkt oder sie hatten wegen dem unbefriedigenden Ergebnis keine andere Wahl – quasi, bloß nichts vergessen.
Während die Laienspieler an der Mehrzweckhalle gedanklich noch immer bei Mutschler und den Spekulationen über seinen Tod waren, ertappte sich Plotek bei dem Gedanken an die bevorstehende Probe. Mehr noch, er hat die Gedanken auch gleich noch artikuliert, obwohl das nun wirklich niemand zum jetzigen Zeitpunkt hören wollte, weil alle nichts anderes als Mutschlers Tod im Kopf hatten. Als Plotek dann einsehen musste, dass die Probe für heute wohl gestorben war, hat er immerhin noch Manuel, also den Assistenten vom Spielleiter Niederbühler, auf seinen Passions-Text angesprochen. Typisch Plotek, wenn Eile angesagt ist, war Lahmarschigkeit die Folge. Wenn deplatziert, unaufhörliches Insistieren. Zumindest den Text wolle er sich schon mal anschauen, hat Plotek nicht lockergelassen, weil doch wenig Zeit ist und bei der großen Rolle ist jede Minute kostbar. Also hat Manuel Plotek ein Manuskript der Leidensgeschichte Jesu in einer Bearbeitung von Sepp Niederbühler gegeben. Vorne stand noch der Name vom Mutschler. Darüber, durchgestrichen, die Namen von Granz und Zeiler. Natürlich hätte Plotek jetzt Mutschlers auch durchstreichen und seinen eigenen druntersetzen können. Aber Plotek hat den Namen Namen sein lassen und den Text auf der Suche nach seiner Rolle durchgeblättert. Er wollte die Judas-Passagen nur mal kurz überfliegen. Um sich zu orientieren. Er wollte einfach mal einen Blick hineinwerfen, um schon mal vorab zu sehen, was da auf ihn zukommen sollte. Na ja, zum Überfliegen gab’s da nicht viel, weil kaum Text zu finden war. Genau drei kurze Szenen waren mit gelbem Markerstift angestrichen. Erstens: »Was wollt ihr mir geben? Ich will ihn euch verraten. 30 Silberlinge. Abgemacht.« Zweitens: »Bin ich’s, Rabbi?« Und drittens: »Ich habe übel getan, dass ich unschuldig Blut verraten.«
Das war alles. Plotek hat noch mehrmals vor- und zurückgeblättert und nach weiteren eingefärbten Stellen gesucht, aber nichts gefunden. Fünfundzwanzig Worte. Das war nicht viel. Das war sogar ziemlich wenig. Zu wenig für Plotek. Das war mit Abstand die kleinste Rolle, die Plotek in seiner ganzen Schauspielkarriere bisher hätte spielen sollen. Fünfundzwanzig Worte fallen fast schon ins Fach »Statist mit Text«. Dafür nimmt man Laien, kam es Plotek in den Sinn. Und dann, es sind ja auch alles Laien. Aber nicht ich. Ich nicht! Also, schlimmer noch. Wenn ausschließlich eine derartig winzige Laienfigur in einem Ensemble aus lauter Laien mit einem Profi besetzt wird, dann ist es wie . . . wie . . . wie . . . hat Plotek gedacht und nach Vergleichen gesucht und keine gefunden, so abwegig war alles. Und dennoch, für einen ehemaligen Protagonisten, wenn auch nur von einem zweitklassigen Landestheater, kam das natürlich nicht nur einer Diskreditierung, sondern gar einer Diskriminierung gleich. Sabotage an einem ganzen Berufsstand war das. Die einzige Konsequenz wäre, sofort abzureisen. Das war ein Niveau, das weder mit einem Prozent der Abendkasse, noch mit 4000 Mark auf die Hand zu rechtfertigen gewesen war. Das konnte Plotek nicht verheimlichen. Und er wollte es auch gar nicht verheimlichen. Also hat er mit »Ihr spinnt ja!« Manuel den Text wieder vor die Brust gepfeffert, dass der schaute wie Plotek, immer wenn er nichts kapierte. Obwohl Manuel sofort alles begriffen hat. Plotek ist ab durch die Mitte und schleunigst zurück ins Hotel. Von da wollte er dann sofort abreisen. Er wollte sich auch nicht von
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