Altstadtfest
um Schwambos Nachbarn zu machen. »Haben Sie einen Schlüssel zu Klemms Wohnung?«
»Ich? Nee.«
»Gibt es irgendeine Möglichkeit hineinzukommen?«
»Klingeln halt.«
»Darauf wäre ich jetzt nicht gekommen.« Ich steckte den Zettel mit der Handynummer ein und verließ die Wohnung. Während ich bei Klemm läutete, klopfte und freundliche Aufforderungen durchs Schlüsselloch schickte, erklärte mir Schwarz, dass sein Nachbar erst vor einem Vierteljahr eingezogen und extrem kontaktscheu sei. Mehr als gegrüßt habe man sich nicht.
»Gut«, meinte ich schließlich. »Wir brechen sie auf.«
Der Dicke fing an zu schwitzen. »Aufbrechen?«
»Wir müssen rein. Da drin regt sich nichts.«
»Moment. Probieren Sies lieber über den Balkon.«
Der Balkon von Schwarz befand sich keine zwei Meter neben dem Klemms. Es waren identische kleine Balkone mit Betonboden und Zinkverkleidung, und man konnte problemlos vom einen zum andern hüpfen. Solange man nicht nach unten schaute. Ich kletterte über Schwambos Bierkästen auf das Geländer und hielt mich an der Regenrinne fest. Klemms Balkon stand glücklicherweise leer.
Bis zum Erdboden waren es vielleicht sieben Meter. Hinter mir pfiff die Lunge von Herrn Schwarz.
Ich dachte: bloß nicht denken, Max, und kaum hatte ich das gedacht bzw. nicht gedacht, war ich drüben. Wie sehr meine Knie zitterten, merkte ich erst bei der Landung. Das Blut hämmerte in meinem Kopf. Egal. Hauptsache, ich war auf Klemms Balkon.
Rechts die Balkontür. Ich sah hindurch und wusste, was ich zu tun hatte.
»Warum zieht der jetzt seine Jacke aus?«, hörte ich Schwambo schnattern. Und dann: »Nein! Sie können doch nicht …«
Das Splittern von Glas ließ ihn verstummen. Ich wickelte die Jacke von meiner Faust, griff durch die zerstörte Scheibe und öffnete die Tür von innen.
Ich betrat einen hässlichen braunen Teppichboden, den gleichen wie in der Nachbarwohnung. Nur dass bei Schwarz kein Toter auf dem Boden lag. Er war klein und kräftig, das Haar kurz, der Schädel bullig. Mund und Augen standen offen, er lag auf dem Rücken, und in der Hand hielt er eine Pistole mit Schalldämpfer. Aus einem kleinen Loch in der rechten Schläfe sickerte Blut.
Von dem Toten abgesehen, war die Wohnung leer. Ich schaute kurz in Küche und Schlafzimmer, bevor ich die Wohnungstür öffnete und Schwarz einließ. Der Dicke sah den Toten, fing an zu schwanken und hielt sich an einem Stuhl fest.
»Ach du Schande!«, stöhnte er.
»Ist das Klemm?«
Er nickte, hielt sich die Hand vor den Mund und stürzte ins Bad, wo er die Kloschüssel umarmte. Ich schloss die Tür hinter ihm.
Seine und Klemms Wohnung waren spiegelsymmetrisch angelegt. Wohnzimmer, Schlafzimmer, kleine Küche und Bad. Selbst die Steckdosen saßen an derselben Stelle. Der Unterschied bestand in der Pizzaschachtel. Was bei Schwarz versifft und unordentlich war, war bei seinem Nachbarn sauber und aufgeräumt. Die reinste Kommissstube! Alles an seinem Platz, alles picobello. Bis auf den toten Hausherrn.
Die Einrichtung: spärlich. Und das war noch untertrieben. Ein einziges Regal für eine Handvoll Bücher. Im Schlafzimmer drei, vier Garnituren Kleidung. Kein Fernseher, keine Stereoanlage, nicht einmal ein Telefon. Das hier war kein Platz zum Leben, sondern zum Unterkriechen. Ein toter Briefkasten in XXL , Stützpunkt für jemanden, der woanders hingehörte.
Die Toilettenspülung rauschte. Schwambo kam aus dem Bad gewackelt, schlotterte, fiel fast hin. Ein langer Speichelfaden hing aus seinem Mund. »Was ist da los?«, krächzte er. »Hat er sich umgebracht?«
»Könnte man meinen. Soll man auch meinen. Aber wenn Sie mich fragen, hat Ihr 100-Euro-Spender da nachgeholfen.«
Entsetzt starrte er mich an. Versuchte vergeblich, sich gegen einen Gedanken zur Wehr zu setzen, der seine wenigen grauen Zellen bestürmte. »Wie? Sie glauben, der Typ hat nur gewartet, bis Klemm wieder da ist, um ihn … um ihn umzulegen? Deswegen sollte ich ihn informieren?«
Ich nickte.
»Aber da kann ich doch nichts dafür!«, heulte er los, zerrte wild an seinem Hemd herum, dass es endgültig aus der Hose rutschte und seinen weißen, behaarten Bauch freilegte.
»Ist ja gut!«, herrschte ich ihn an. »Reißen Sie sich zusammen!«
Er bemühte sich. Mit mäßigem Erfolg. Ich schickte ihn raus, in seine Wohnung. Wenn der Typ auf Klemms Teppichboden kotzte, würde uns die Kriminaltechnik steinigen.
Ich beugte mich über die Leiche. Natürlich war es Mord. Welcher
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