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Altstadtfest

Altstadtfest

Titel: Altstadtfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Imbsweiler
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Odenthäler, und ihre Musik hielt, was das aufgepeppte Kleid der Frau versprach: eine Mischung aus Folklore und Punk, Ohrwurm und Kratzbass. Weh tat sie keinem, solange man sie nicht in einem mittelgroßen Büro bei voller Lautstärke und mäßiger Klangqualität hörte.
    Die Odenthäler also spielten, jodelten und hopsten, und das Publikum hopste mit. Wie vom Kommissar angekündigt, sah man nur die Köpfe der Zuhörer, ein paar Schultern, die nach oben gereckten Arme. Dann kam ein schwarzer Michelin-Mann auf die Bühne, und die Musik brach ab.
    Es ging so schnell, dass ich nur einen Bruchteil der Ereignisse wahrnahm. Der Mann in Schwarz, die Schüsse, das Ende. Dann, nach der Zäsur des Entsetzens, nach diesem wirklich furchtbaren Moment der Totenstille, die Schreie, die Panik, die Flucht … Wenige Sekunden später wurde der Bildschirm dunkel.
    Gott sei Dank.
    Ich linste vorsichtig zur Seite. Fischer und Sorgwitz saßen still hinter ihren Schreibtischen, Greiner machte sich an einem Faxgerät zu schaffen. Niemand beachtete mich, niemand blickte mir ins Gesicht, aber ich hätte schwören können, dass auch sie eine Winzigkeit zuvor zu mir herübergeschielt hatten. Und zwar alle drei!
    Ich atmete tief durch und ließ die Aufnahme von vorne laufen. Dann noch mal. Und noch einmal. Wenn ich auf den Effekt des Abstumpfens gesetzt hatte, so blieb er aus. Das Ende war grauenhaft, beim ersten wie beim vierten Durchgang. Sobald die Menschen registrierten, was mit ihnen passierte, wurden sie zu Tieren. Sie schrien wie Tiere, sie flohen wie Tiere, sie brüllten, winselten, stöhnten, heulten, fiepten, grunzten, jaulten … Und als ich mir das klargemacht hatte, dass ich nämlich einer Tierherde zusah, die sich auf dem Weg zum Schlachthof wähnte, wusste ich jene Empfindung zu benennen, die sich zu all den anderen, zu Mitleid, Grauen und Entsetzen, gesellt hatte. Diese Empfindung hieß Scham. Ja, als Betrachter schämte man sich unwillkürlich dafür, wie leicht es war, seinen Mitmenschen ihr bisschen Menschsein auszutreiben. Man stellte sich auf eine Bühne, legte eine Knarre an, und schon entglitt dem Publikum die dünne Zivilisationshülle wie einem Knaben seine vollen Hosen.
    Dass es so war, machte einen wütend. Wütend auf den Mann in Schwarz, wütend auf einen selbst, dass man nicht mehr Mitleid mit den Opfern aufbrachte. Wütend aber auch auf die Opfer, dass sie den Mörder nicht von seinem hohen Sockel herunterholten, dass sie ihn nicht wegpusteten, wegschrien, wegfantasierten … Tausend gegen einen, und der eine gewann.
    Wie gut, dass ich diesen Abend im Englischen Jäger verbracht hatte. Wie gut, dass es den Englischen Jäger gab.
    Trotzdem heftete ich meinen Blick auf den Monitor, trotzdem beobachtete und registrierte ich, sog mit jedem Durchgang neue Details auf. Etwa 20 Sekunden lang war der Mörder im Bild zu sehen, und diese 20 Sekunden steckten voller Informationen. Nach einer Weile entdeckte ich, dass die DVD weitere Tracks enthielt: die Originalsequenz in Zeitlupe, dazu eine Ausschnittsvergrößerung von Auftritt und Abgang des Schützen.
    Aber der Reihe nach: eine relativ kleine Bühne, vielleicht fünf, sechs Meter breit, von unbekannter Tiefe. Überdachung, Rück- und Seitenwände aus schwarzem Stoff, seitlich der Bühne große Boxen und weitere Stoffplanen bis zum Ende des Kameraausschnitts. Die üblichen Plakate und Transparente mit dem Namen der Veranstaltung und der Band. Außen links steht der Akkordeonist und schüttelt seinen hageren Oberkörper, die Sängerin hüpft winkend von einer Seite zur anderen. Dann hält sie inne, lässt einen lang gezogenen Ton hören und legt den Kopf in den Nacken. Im nächsten Moment wird sie ihr Mikro fressen. Stattdessen steht plötzlich ein schwarzgekleideter Mann mit einem seltsamen Musikinstrument neben ihr. Er zögert keine Sekunde, darauf zu spielen.
    Tack-tack-tack-tack … Eine Salve von Schüssen reißt die Musik der Odenthäler in Stücke. Die Sängerin lässt ihr Mikro fallen, der Schlagzeuger hat bereits aufgehört zu trommeln, im nächsten Moment verstummen auch Bass und Akkordeon. Eine Band ohne Play-back, die folgende Stille beweist es. Aber schon ist da keine Stille mehr, bricht die Menge vor der Bühne auseinander, weicht der Michelin-Mann zurück. Hals über Kopf bringen sich die Musiker in Sicherheit. Die Bühne ist leer, der Mörder vom schwarzen Hintergrund aufgesogen.
    Jetzt die Vergrößerung: Da steht ein Mann in Motorradklamotten. Sie

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