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Altstadtfest

Altstadtfest

Titel: Altstadtfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Imbsweiler
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werde es ihm heute Abend persönlich verklickern. In welcher Tonlage, überlege ich noch.« Ich stand auf.
    »Warten Sie ab. Selbst wenn das Manöver nichts bringt; wir haben es wenigstens versucht. Das ist das Wichtigste für Signor Petazzi.«
    »Und auf wessen Kosten es geht, interessiert ihn nicht. Hat ihn noch nie interessiert. Wir sehen uns, Herr Nerius. Heute Abend.«
    »Asloch«, sagte jemand.
    In der offenen Tür stand der kleine Luca, stolz wie Oskar. Hoffentlich hatte er seinem Vater ein dickes, dickes Ei in die Windel gelegt.
    »Da hast du recht«, sagte ich und tätschelte ihm den Hinterkopf. »Dein Papa ist ein Asloch.«
    Ich verließ das Asloch und seinen Sprössling mit dem unbefriedigenden Gefühl, überschüssige Energie nicht losgeworden zu sein. Leute wie Nerius merkten nicht einmal, wie überheblich sie waren. Vielleicht hätte ich ihn doch härter anpacken sollen? Aber man kann schlecht einen Familienvater verdreschen, solange sein Söhnchen danebensteht. Ich beschloss, mir ein paar Aggressionen für den Abend aufzubewahren. Mit den Steinklumpen seiner Frau hatte bestimmt noch keiner ein Kugelstoßen veranstaltet.
    Von der Hauptstraße kam ein halbes Dutzend Japanerinnen herabgetrippelt und verfolgte mit neugierigen Blicken, wie ich mein Rad aufschloss und bestieg. Hatten die noch nie ein Fahrrad gesehen? Oder lasen Touristen neuerdings die Neckar-Nachrichten? Ich schnitt den Hühnern aus Fernost eine Grimasse, was sie mit albernem Kichern honorierten. Wütend trat ich in die Pedale. Da war wirklich noch ein Haufen Kraft übrig, sie wollte raus, wollte bestaunt werden. Schade, dass der Uniplatz gleich um die Ecke lag und nicht hinter hohen Bergen und tiefen Ozeanen, bewacht von Drachen und Lindwürmern. Im Moment hätte ich es mit jedem Drachen dieser Welt aufgenommen.
    Aber ich erwischte keinen Drachen, sondern bloß eine Taube. Eine dämliche, verschreckte Hauptstraßentaube, die ihre Flugfaulheit fast mit dem Tod bezahlte. Eben hatte ich die Bauamtsgasse verlassen und war mit Schwung in die Fußgängerzone eingebogen, als sich etwas in den Speichen meines Vorderrades verfing. Ich hielt an. Ein hellgrauer Vogel versuchte davonzuflattern, fiel zu Boden, rappelte sich wieder auf, torkelte weiter.
    Na, prima. Da ließ man einen Strippenzieher wie Nerius ungeschoren, um diesem Vieh den Flügel zu brechen. Den Flügel, das Bein, was weiß ich. Die Taube sah nicht aus, als würde sie je wieder fliegen können. Von einem Jugendlichen bekam sie im Vorübergehen einen Tritt. Noch so einer, der eine Abreibung verdient hatte. Aber ich war es ja, der die Schuld an der ganzen Misere trug, und ich stand nur da und sah dem Vogel zu, wie er sich an eine Hauswand drückte, den Flügel hängen ließ und sein Schicksal erwartete.
    Die Welt ist nicht schön. Sie ist eine Ansammlung von Grausamkeiten und Machtspielchen; die Opfer wechseln, die Handlungen sind austauschbar. Irgendwann würde eine Katze kommen und die Taube fressen, ein Junge würde kommen und die Katze quälen, ein Vater würde kommen und den Jungen verprügeln, und am Ende würde irgendein hergelaufener Terrorist den Vater mit einer Kugel im Bauch aufs Pflaster schicken. Und was war mein Beitrag im Karussell des Schreckens? Ich versuchte mich herauszuhalten, so gut es ging. Aber es ging nicht.
    In dieser Stimmung erreichte ich den Uniplatz.
    Zunächst sah alles aus wie immer. Ein blauer Gelenkbus bahnte sich seinen Weg durch die Fußgänger, mit seinem Hinterteil wackelnd wie eine Gans. Studenten auf dem Weg zur Mensa, Flaneure, Einkäufer. Die Außenplätze des kleinen Bistros alle besetzt. Am Brunnen vor der Alten Aula versammelte sich ein Grüppchen um eine dicke Dame vom Verkehrsverein. Ein Straßenkünstler packte seine Gerätschaften zusammen. Alles wie immer.
    Aber nur anfangs. Weiter hinten, dort, wo sich der Platz zu einem großen Quadrat öffnete und im Süden von der nüchternen Fassade der Neuen Uni begrenzt wurde, war alles anders als sonst. Absperrbänder verwehrten den Zutritt zu einem handballfeldgroßen Areal. So weit man sah, war der Boden mit Kreidezeichnungen übersät, ein Streifenwagen stand im Schatten der Platanen. Rund um die Absperrungen drückten sich Menschen. Den einen war es peinlich, ihre Neugier offen zu zeigen, andere glotzten unverhohlen, wiesen mit den Fingern, taten ihr Fachwissen kund.
    »Dat is wie Graund Siero hier«, hörte ich einen in rheinischem Singsang verkünden.
    Er hatte nicht einmal ganz unrecht.

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