Altstadtfest
Schutzschild zugelegt. Einen Knirps von drei Jahren mit einem glänzenden Tropfen unter der Nase. Wenn mich nicht alles täuschte, bekam er die grünen Augen seiner Mutter.
»Hallo, Kleiner«, sagte ich. »Willst du deinen Vater mal mit zermatschter Fresse sehen?«
Der Junge strahlte. Interesse schien durchaus vorhanden. Nerius dagegen ließ die Kinnlade ein wenig fallen, bevor er stammelte: »Wie bitte? Alles klar bei Ihnen?«
»Ich gebe Ihnen zehn Sekunden, Sie Armleuchter. Zehn Sekunden, um Ihren Nachwuchs in Sicherheit zu bringen.«
Nerius wich zurück. Anstatt seinen Sohn vor dem wild gewordenen Privatflic zu schützen, hielt er ihn als Puffer zwischen sich und mich.
»Immer mit der Ruhe. Worum geht es denn?«
»Worum es geht? Fragen Sie Ihre Mailbox. Oder schauen Sie in die Neckar-Nachrichten. Sie glauben wohl, Sie können sich alles erlauben, bloß weil halb Italien hinter Ihnen steht, Sie Arschloch.«
»Asloch«, kicherte der Kleine.
»Genau, Asloch. Dein Papa ist ein Asloch. Sogar Ihr Sohn ist dieser Meinung.«
»Ach, darum handelt es sich!«, rief Nerius erleichtert. »Ich dachte mir schon, dass Ihnen diese Art der Öffentlichkeitsarbeit nicht liegt. Andere hätten sich gefreut, aber es ist nicht jedermanns Sache. Kommen Sie rein.«
Ich folgte den beiden. Die Wohnungstür warf ich nicht eben dezent zu, auch gab ich mir keine Mühe, leise Schritte zu machen, aber den Kunsthistoriker und Vater eines lispelnden Knaben scherte das nicht weiter. Er wusste nun, was der Grund meiner Verstimmung war. In seinen Augen handelte es sich bloß um ein Problem der Kommunikation, um ein Missverständnis also, und Missverständnisse waren da, damit man sie ausräumte.
»Das ist übrigens Luca«, sagte er, während er den Dreikäsehoch absetzte. Wir waren in Nerius’ Küche angelangt.
»So heißen sie doch alle.«
»Wie?«
»Willst du meine Kassette hören?«, fragte Luca. Seine Rotzfahne wurde immer länger, aber solange er Wörter mit S benutzte, konnte man ihm einfach nicht böse sein.
»Nee«, sagte ich. »Lieber plündere ich die Biervorräte deines Papas. Falls dein Papa Bier im Haus hat.«
»Gut.« Er flitzte ab.
Sein Vater sah ihm mit verklärtem Blick nach. »Nächste Woche kommt er in den Kindergarten«, sagte er, als hätte ich mich danach erkundigt. Und dann, dem Kleinen hinterhergehend: »Moment, ich muss nur kurz …«
Schade, ich hatte mir schon die Stelle an seinem Kragen ausgeguckt, an dem ich ihn packen und durchschütteln wollte. Andererseits eilte die Sache nicht. Ich stellte mich ans Fenster, hauchte gegen die Scheibe und malte das Anarchie-Zeichen in den Dampf. Ein Weihnachtsstern vom letzten Jahr klebte am Glas. Es roch nach warmer Milch. Ein Bier hätte jetzt gut zu meiner Stimmung und zu meinem Auftritt gepasst, aber es war noch zu früh am Tag.
»Er ist ein bisschen erkältet«, hörte ich Nerius hinter mir sagen. »Deshalb muss ich ihm …«
Weiter kam er nicht. Von meiner Faust am Hemdkragen gepackt, bewegte er sich langsam auf mich zu. Nicht unbedingt freiwillig.
»Und jetzt zum Mitschreiben«, sagte ich, sobald sich sein Gesicht direkt vor meinem befand. »Dass Sie ein armseliges Würstchen sind, ist mir egal, Nerius. Dass Sie sich einen kleinen Scherz mit diesem Foto erlaubt haben, auch. Aber beides zusammen, dass nämlich so ein lächerliches Würstchen wie Sie meint, mich verarschen zu können, das regt mich auf. Ich will wissen, was Sie sich dabei gedacht haben.«
Nerius machte keine Anstalten, sich zu wehren. Er hing schlaff in meinem Griff und wartete, dass ich ihn lockerte. Als nichts geschah, sagte er gepresst: »Hören Sie auf mit dem Quatsch und lassen Sie uns reden. Vernünftig, wenn möglich.«
»Dann schießen Sie los«, sagte ich und öffnete die Faust.
Nerius sank von den Zehenspitzen zurück auf die Fersen. Ärgerlich glättete er sein Hemd. »Ich weiß nicht, warum Sie sich so aufregen. Sie haben eine Publicity wie noch nie in Ihrem Leben und …«
»Was?«, brüllte ich. »Publicity nennen Sie das? Rufschädigung meinen Sie wohl! Heute Morgen hätten sie mich fast aus dem Polizeirevier Mitte geschmissen. Und der Rest der Republik lacht sich tot über meine versoffene Fresse!«
»Ist Ihnen das so wichtig?«
»Ja, auch wenn man es mir nicht ansieht!«
»Hätten Sie uns denn ein vorteilhafteres Foto zur Verfügung gestellt?«
»Für so einen Mist? Niemals.«
»Sehen Sie? Deshalb haben wir Sie gar nicht erst gefragt.«
Eine solche Dreistigkeit
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