Altstadtfest
Klinke in der Hand.
»Ich bin Privatdetektiv«, sprach ich in den Flur hinaus, »kein Babysitter.« Der Flur antwortete nicht.
Hinter mir rülpste Usedom laut. Ich schloss die Tür und ging zu ihm.
»Das ist praktisch«, sagte er, »dass Ihre Haustür unten immer aufsteht. Praktisch ist das.«
»Dachte ich bis heute auch. Was wollen Sie?«
Er starrte mich mit offenem Mund an. »Reden«, sagte er, als sei es ihm gerade erst eingefallen. »Genau, reden.«
»So wie gestern und vorgestern. Und morgen und die komplette nächste Woche, vermute ich. Falls Sie bis dahin wieder nüchtern sind.«
»Nüchtern?«, lachte er und wischte das Wort mit einer Hand weg. »Was ist das: nüchtern? Wer hat das erfunden? Braucht man das?«
Leise begann ich zu fluchen. Womit hatte ich das verdient? Was für einen Narren hatte dieser Mensch an mir gefressen? An einem höchstens viertelgebildeten Detektiv, der sich für alte Revoluzzergeschichten wenig und für Romane überhaupt nicht interessierte? Ich hatte ihm doch deutlich signalisiert, dass ich auf seine Gegenwart verzichten konnte.
»Wir zwei«, sagte er und unterstrich seine Worte mit einer großzügigen Handbewegung, »wir zwei haben mehr gemeinsam, als Sie denken.«
»Ach? Finden Sie unangemeldeten Besuch auch so lästig?«
»Nicht, wenn er …« Er überlegte. Kratzte sich an der unrasierten Wange, bewegte den Unterkiefer hin und her. Dann stutzte er, um mich erstaunt zu fragen: »Warum stehen Sie eigentlich die ganze Zeit? Setzen Sie sich doch!«
Dabei blickte er mich so entwaffnend an, dass ich lachen musste. Es war ein eher hilfloses Lachen, aber ihn freute es.
»Na also«, strahlte er. »Wusste ich doch, dass Sie gut drauf sind. Das soll auch so sein, weil, ich muss mit Ihnen reden. Über meine Dings, Sie wissen schon.«
Was sollte ich tun? Um einen Betrunkenen aus der Wohnung zu werfen, fehlte mir heute die Kraft. Meine Schroffheit machte Usedom nichts aus. Er schien überhaupt in seiner eigenen, versponnenen Welt zu leben. Irrlichternd zwischen Naivität und Altersstarrsinn, ein Mensch der Widersprüche. Kindlicher Blick und graue Locken. Schmales Gesicht, aber zarte Bäckchen. Seine Augen weit auseinanderstehend, die Nase ein kurioses Lesezeichen. Er trug wieder seinen leichten Mantel, darunter Hemd und Cordhose sowie gute, fast elegante Lederschuhe. Jazzmusiker hätte er sein können, das Mundstück eines Saxofons zwischen den dünnen Lippen, die Augen geschlossen, den Rücken leicht gekrümmt. Dann hätte er jetzt vielleicht einen Auftritt, und ich wäre vor ihm gefeit.
War ich aber nicht. Ich ging in die Küche, fand eine angebrochene Flasche Whisky und im Kühlschrank ein Bier. Ein Glas, Flaschenöffner, zurück zu Usedom. Gierig griff er nach dem Whisky, doch ich drückte ihm das Bier in die Hand.
»Geben Sie mir eine faire Chance, Ihren Level zu erreichen«, sagte ich.
»Das ist Talisker. Mein Lieblingswhisky.«
»Aber Sie sind nicht mein Lieblingsschriftsteller.«
»Bier ist auch okay«, sagte er versöhnlich und nuckelte an der Flasche. »Übrigens, Sie können ruhig weiteressen. Kein Problem, ich gucke zu oder esse was mit. Macht mir nichts aus.«
»Ich habe schon gegessen.«
»Ach so. War gut?«
Ich nickte.
»Riecht auch gut. Fleisch?«
Ich sah ihn scharf an. Vergeblich versuchte er, meinem Blick standzuhalten. Er geriet regelrecht ins Schlingern dabei, sein Kopf begann auf dem dünnen Hals hin und her zu eiern. »Warum gucken Sie denn so?«, murmelte er.
»Jetzt hören Sie mir mal zu, Sie komischer Vogel. Seit zwei Tagen passen Sie mich an den unterschiedlichsten Orten ab, um mit mir zu quatschen. Ob ich das auch möchte, juckt Sie nicht. Ich verstehe ja, dass Sie in Ihrer Situation jemanden zum Reden brauchen. Aber dafür bin ich der Falsche. Ich kannte Beatrice nicht, mein Interesse an Ihrem Mädchen ist rein beruflicher Natur. Über Ihre Romane weiß ich erst recht nichts zu sagen, tut mir leid. Wir können gerne im Englischen Jäger ein Bierchen zusammen trinken, alles andere sollten wir lassen.«
»Gut«, nickte Usedom. »Ein offenes Wort. Sehr gut. Ich habe verstanden. Deshalb …« Er stellte die Flasche auf den Boden, rappelte sich auf und streckte mir seine Hand hin. »Robert«, sagte er. »Ab jetzt du und für immer. Das als Erstes.«
»Muss das sein?«
»Ach, nun hab dich nicht so. Wir sitzen doch im selben Boot.«
»Ja, in einem schwankenden, das gleich untergeht.«
Kichernd nahm er wieder Platz. »Ich bin der Ältere
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