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Altstadtfest

Altstadtfest

Titel: Altstadtfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Imbsweiler
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»Okay«, sagte er, »dann fährst halt du.«
    Fuhr halt ich. Ich hatte zwar keine Ahnung, wohin es gehen sollte, und noch weniger wusste ich, warum ich den Kerl nicht einfach aus meiner Wohnung schmiss, aber ich setzte mich ans Steuer, als er zehn Minuten später seinen roten Ford Taunus aufschloss. Unser Aufbruch hatte sich etwas verzögert, weil Usedom im Überschwang seiner Freundschaft zum einzigen Nichtspießer der Stadt seine Bierflasche umgetreten hatte, die auf dem Boden stand. Er wunderte sich ein bisschen, dass ich ihm ganz nach Spießermanier einen Lappen in die Hand drückte und befahl, das Bier aufzuwischen; seine Euphorie litt jedoch nicht darunter.
    Fuhr halt ich. Ich drehte den Zündschlüssel, der Motor sprang mit heftigem Fauchen an.
    »Zum Heiligenberg«, murmelte Usedom, in sein Manuskript vertieft.
    »Mitten in der Nacht? Was sollen wir da?«
    »Das sehen Sie dann schon. Du, meine ich. Entschuldigung. Und jetzt hör zu.«
    Während ich Handschuhsheim ansteuerte, begann Usedom, mir den Rest seiner Erzählung vorzulesen. Er konzentrierte sich. Rau klang seine Stimme an mein Ohr, viel rauer als sonst. So passte sie wenigstens zum Dunkel und zur Kälte der Nacht.
    zitternd kniet robert nieder und legt den kopf der kreatur in seinen schoß. seine finger beginnen zu kraulen, inständig, beschwörend fast. der kopf ist unversehrt, aufgesperrt die schnauze. halb geschlossene augen, zwischen den lefzen die lange, helle zunge. ein tropfen hängt an der schwarzen hundenase. wie warm sich das fell noch anfühlt, wie lebendig. doch aus dem aufgerissenen bauch des hundes quillt blut, verklebt seine haare, nässt den asphalt. seine pfoten sind angezogen: ein tier, bereit zum wegrennen, erstarrt mitten in der bewegung, eingeholt vom schnelleren tod.
    robert sieht auf. sieht den großen nebel steigen.
    »Dieser Robert«, sagte er, »da denkt natürlich jeder, das bin ich. Bin ich aber nicht. Das ist bloß eine Figur, die so heißt wie ich. Wie der Autor, der sich die Figur ausgedacht hat, klar? Die Leute kapieren das leider nicht. Man kann es ihnen noch so oft erklären.«
    »Die Leute sind halt Spießer.«
    »Genau.«
    Kopfschüttelnd folgte ich den Straßenbahnschienen Richtung Norden. Natürlich war Robert Robert, da konnte er mir erzählen, was er wollte. Typische Schriftstellerfeigheit. Sie schrieben sich den Frust von der Seele, provozierten, stichelten, traten nach, nur um am Ende das Etikett »Roman« vorne draufzukleben. Schon hatten sie mit der ganzen Sache nichts mehr zu tun. Rollenprosa, Erzählermeinung. Wasche meine Hände in Unschuld. Darauf pfiff ich.
    »Roberts Vater ist ja auch ganz anders als deiner, stimmts?«, sagte ich.
    »Hm«, machte er.
    Da hatten wirs. Usedom konnte deshalb so gut mit Beatrice, weil ihn der alte Petazzi an seinen eigenen Vater erinnerte. Und der größte Unhold von allen war Roberts Vater, also der aus der Erzählung. Der schikanierte seinen Sohn nach Strich und Faden, seine Frau ebenfalls, die in Nibelungentreue trotzdem zu ihm hielt, ein alter Nazi war er auch noch und beruflich erfolgreich obendrein. Für Robert blieb nur die Opferrolle. Armselig, wie er nach den Gesetzen der Literatur zu sein hatte, bekam er nirgendwo ein Bein auf den Boden, in der Schule nicht, im Verein nicht und bei den Mädchen erst recht nicht. Dabei drückte Usedom gar nicht auf die Tränendrüse, er schilderte die Dinge knapp und sachlich, und deshalb lag Roberts unglückliche Kindheit Gott sei Dank längst hinter uns, als wir Handschuhsheim erreichten. Jetzt also die Sache mit dem Hund. Und dem Nebel.
    eingeschlossen in den großen nebel, tunkt robert zwei finger seiner rechten hand in das warme blut des hundes und fährt sich damit über die stirn. von der stelle geht energie aus: ein brennen, lodern. seine stirn wird zum zentrum neuer entschlussfähigkeit. es ist, als seien die kräfte des tieres auf ihn übergegangen. er wiederholt die geste und netzt beide backen mit blut. anschließend zieht er sein t-shirt aus, um den hund darin einzuwickeln. das kleidungsstück, schnell vollgesogen, ist zu klein für das tier. dennoch hofft robert, für den schutz seines toten gefährten auf der weiterreise ins jenseits etwas getan zu haben.
    Mit dem Hund hatte es Folgendes auf sich: Er war Robert eines Tages zugelaufen, mehr Dreck als Tier, und der Junge hatte natürlich sofort einen Narren an ihm gefressen. Seelenverwandtschaft, was sonst. Ein Köter, so herrenlos und räudig wie Robert selbst. Nun

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