Altstadtfest
aufgewacht, weil er eingeschlafen war. So seltsam das klingt.
Ehrlich gesagt, fand ich es überhaupt nicht seltsam. Nicht, wenn man es mit dem Traum verglich, den ich eben durchlebt hatte. Der war vielleicht seltsam!
Der Traum ging so: Ich erwachte vom Geklimper eines Westernklaviers. Der Oberbürgermeister hatte zu einer Pressekonferenz im Saloon Old Heidelberg geladen. Er saß an einem langen Tisch, neben ihm Petazzis Leibwächter, Tischfußball-Kurt, Beatrice und die üppige Greta. Jeder hatte eine Schnapsflasche vor sich. Die Männer trugen Cowboyhüte, von der Decke baumelte ein Strick, der zu einer Schlaufe gebunden war.
Dann schwangen die Saloontüren auf, und herein walkte der Sheriff, ein bärbeißiger Kerl mit Backenbart und einem Kurpfälzer Löwen auf dem Hemdsärmel. Seine Stimme erinnerte an eine alte Fahrradklingel, aber man verstand, was er sagen wollte, denn er zeigte auf mich und auf den Strick, und im Hintergrund lachte sich das Klavier kaputt.
»Hängt ihn!«, schrie es in meinem Rücken, und als ich mich umdrehte, drückte sich die ganze Stadt in den engen Saloon. »Aufhängen, den Vaterlandsverräter!«
»Ich hab nix gemacht!«, rief ich. »Nix!«
Da lachte der Sheriff und fletschte seine Zähne, wie es meine Freunde Greiner und Sorgwitz nicht schöner hingekriegt hätten. Schwupp, hatte er eine Aktentasche in der Hand, und schwupp, zog er ein Bündel von Papieren hervor. »Das hier«, schrie er Fahrrad klingelnd, »ist das Manuskript eines unveröffentlichten Romans, der aus Heidelberg einen Ort des Verbrechens macht und aus seinen Bewohnern eine Rotte von Sündern. Schundliteratur, klingeling! Ein Machwerk. Und der Autor«, er zeigte auf mich, »steht mitten unter uns.«
»Hängt ihn!«, schallte es von allen Seiten.
»Ich kann überhaupt nicht schreiben!«, protestierte ich. »Nur quasseln.«
»Hängt ihn!«
»Bitte nicht!«, rief Greta. »Ich habe noch viel mit ihm vor.«
»In den Dreck zieht er dieses unser Land!«, heulte der Fahrradklingel-Sheriff. »Verbreitet Lügen über unsere Spießbürgergemeinschaft, und deshalb ist der Strick noch zu schade für ihn. An den Spieß mit ihm!«
»An den Spieß!«, johlte die Menge, da stürzte mein Freund Marc Covet nach vorne und versuchte mit dem Ruf »Das ist von mir!«, dem Redner das Manuskript zu entreißen. Der Sheriff wehrte sich, Tischfußball-Kurt zeigte Marc die Rote Karte, Greta giggelte, der Saal tobte. Während der Oberbürgermeister und der Leibwächter Armdrücken machten, griff ich nach einer Schnapsflasche, die sich unversehens in eine Pistole verwandelte. Ich zielte. Auf wen, weiß ich nicht, aber wohin ich die Waffe auch richtete, immer war Beatrice Petazzi im Weg. Still und ernst sah sie mich an. Von irgendwoher flehte Usedom: Tun Sies nicht, tun Sies nicht. Ich tue es nicht, sagte ich, aber das ging im allgemeinen Lärm unter. Mein rechter Arm schmerzte. Im nächsten Moment rollte Renate Urban einen hüfthohen Sockel herein. Auf einem Schildchen stand: Schnapsflasche, polnisch. Kaum hatte ich die Pistole auf den Sockel gelegt, ging das Klaviergeklimper in Streichquartettmusik über, und der Sheriff wurde wegen zu lauten und behördlich nicht genehmigten Fahrradgeklingels verhaftet. Von einem Hilfssheriff in Schal und Schirmmütze. Als er ihn abführte, fing alles zu klatschen an.
Nur Beatrice Petazzi blieb die ganze Zeit über still und ernst an ihrem Platz sitzen.
14
Ich hatte gegessen, hatte getrunken, hatte sogar einen Sender gefunden, der weder Volksmusik noch einen Kochkurs brachte. Was ich nicht hatte: Lust auf Besuch. Pünktlich um neun ging meine Türklingel.
Ein paar Sekunden lang blieb ich vorm Fernseher sitzen, aber niemand nahm das Klingeln zurück, kein gnädiges Schicksal strich das Geräusch mit einer Geste des Bedauerns aus meinem Leben. Es war neun Uhr, und jemand hatte an meiner Wohnungstür geläutet.
Sturm geläutet, um exakt zu sein. Ich schaltete die Glotze aus.
»Ich störe gerade, was?«, grinste Usedom, als er im Türrahmen stand. »Aber sagen Sie einfach, wenn Sie nix zu trinken dahaben. Ich will nämlich nicht stören.« Er kniff die Augen zusammen, fixierte meinen Fernsehsessel und steuerte ihn wagemutig an. Fast hätte er ihn um einen halben Meter verfehlt, schlug jedoch im letzten Moment einen Bogen und bekam die Lehne zu fassen. »Hoppla«, sagte er und ließ sich hineinplumpsen.
Da saß er, der Herr Schriftsteller. Breit grinsend. Und ich? War an der Tür stehen geblieben, die
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