Altstadtrebellen
mich freuen, wenn Sie mir…« Was machst du jetzt, dachte ich mir. Ich kann doch nicht dem einen ein Heft abkaufen und dem anderen nicht, der sieht doch das auch. Das ging dann so von Station zu Station, ich hatte schon so sechs, sieben Motz- Hefte auf dem Schoß, ich wusste zwar, wo ich aussteigen muss, traute mich aber nicht. Wenn der nächste Heftverkäufer das sieht, denkt der sich: »Aha, allen anderen kauft er ein Heft ab, und meine Geschichte will er erst gar nicht hören!« Ich bin also notgedrungen bis zur Endstation mitgefahren, hatte einen riesigen Stoß Motz -Hefte, auf der anderen Seite wieder eingestiegen, ich musste ja wieder zurück, setzte mich hin und bemerkte ein seltsames Knistern und Schweigen in diesem U-Bahn Wagen. Alle Fahrgäste starrten mich an wie in einem Western, wenn der fremde Kopfgeldjäger den Saloon betritt. Auf einmal stand ein älterer Herr auf, stellte sich vor mich hin und brach das Schweigen: »Tschuldigen Sie, ich muss Ihnen das jetzt mal sagen, sagen Sie mal, Sie kommen hier rein mit Ihren Motz -Heften, setzen sich hin, erzählen keine Geschichte, gar nichts. Sie glauben gar nicht, wie gut mir das tut, das ist mir zehn Mark wert.« Das war auch für die anderen Fahrgäste wie ein Befreiungsschlag, sie kamen auf mich zu. Eine Freude, ein Jubeln war das. Man hat mir die Motz -Hefte praktisch aus der Hand gerissen, als Gegenwert so gut wie kein Hartgeld, nur Scheine, ich war begeistert von Berlins U-Bahn, habe meinen Kurzurlaub noch um zwei Tage verlängert und konnte mir mit dem Geld in München endlich eine Vespa kaufen.
Lucies neue Kneipe
Reich und schön
Bronske bekam in Lucies neuem Lokal seinen alten Stehtisch, Chosy, Walter und Simmermann saßen wie zuvor an ihren Stammplätzen, und auch Hannover-Fred fand sich nach einigen Tagen in gebührlicher Distanz auf der Eckbank ein. Laufkundschaft gab es selten. Ich, als der stumme Schreiber, betrat das Lokal, als Chosy gerade in einen spannenden Robert-De-Niro-Monolog versunken war: »Eheehh, ich weiß nicht, ob ich dich richtig verstanden habe, du hast ihn getroffen, hast aber nicht mit ihm geredet? Was soll ich mit dir machen, he, kannst du mir das sagen, was soll ich mit dir machen?«
Simmermann hört gebannt zu: »Naa, sagt mir jetzt nix!«
Chosy weiter: »Soll ich dir was sagen? Ich mag dich!«
Und dabei grinst Chosy, wie nur Robert De Niro grinsen kann und tätschelt Simmermanns Wange mit dieser bestimmten Art von Freundlichkeit, nach der man immer einen ungewöhnlich brutalen Gewaltakt be fürchtet.
»Naa, sagt mir nix, fällt mir nicht ein!«, wiederholt Simmermann trocken.
»Lucie, mir bringst derweil noch ein Bier!«, wirft Walter unsensibel dazwischen.
Chosy fährt in seinem Filmzitat fort: »Eheehh, weißt du, ich hab mit ihm heute einen Kaffee getrunken. Wir haben uns unterhalten, ich habe zu ihm gesagt: O.K., wir haben einen Kaffee getrunken, wir haben uns unterhalten, aber die Medaille hat noch eine Kehrseite! Was ist, wenn wir uns da draußen treffen, sie hätten mich eingekreist und müssten mich verhaften? Ich würde sie erschie ßen, ich würde keine Sekunde zögern!«
Simmermann glaubt etwas zu wissen: »Wart einmal, das kenn ich, den Film hab ich gesehen, sag nichts, sag nichts, war das nicht irgendwas mit dem John Wayne?«
»Nein, es war nichts mit John Wayne…« Wieder fährt Walter uncharmant dazwischen: »Ah, geh, das ist ja furchtbar, ihr mit euren Filmen, Chosy, jetzt hast du so schön angefangen mit Kaffee trinken und ratschen, doch dann kommst du gleich wieder mit erschießen daher, ich könnt mir so was nie anschauen. Ich schau mir in letzter Zeit immer mehr so Nachmittagsserien an, da muss ich zwar nicht lachen, aber ich muss mich auch nicht aufregen!«
»Das passt zu dir«, geht Simmermann dazwischen, »ein schwuler Friseur, der sich Hausfrauenserien anschaut!« »Jetzt hör halt mal auf, immer kommst du mir mit dem Schwulsein, ich kann mir doch im Fernsehen anschauen, was ich will, deswegen bin ich doch nicht schwul, ich bin bestenfalls christlich veranlagt, aber das ist was anderes. Außerdem sind diese Serien besser als ihr Ruf, ihr müsst sie euch halt anschauen, ich schau mir zum Beispiel seit Jahren sehr gern Reich und schön an.«
Wieder einmal schleicht dieses betörende Schweigen durch den Raum.
»Das stimmt aber jetzt nicht wirklich, oder … Walter! Chosy, kann das sein, dass der Walter Humor hat? Reich und schön!
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