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Altstadtrebellen

Altstadtrebellen

Titel: Altstadtrebellen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Giebel
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ich dachte mir noch beim Ausziehen, mir liegt das nicht mit der Liege am Nachmittag, in einem fremden Raum, etwas improvisiert, war vielleicht bis vor Kurzem eine Metzgerei, und ich fast nackt auf dieser Liege. Bharat grinste mich meistbietend an und meinte, ich möge mich entspannen.
     
    Aber für mich gibt es nichts Anstrengenderes, als sich spontan zu entspannen, auf Befehl quasi. Ich lag da völlig verkrampft auf dem Rücken, mit zugekniffenen Augen und hypnotisierte mich mit innerer Stimme, fast hektisch: »Entspannen, entspannen, entspannen!«, und Bharat mit seinem »Nun-ist-es-gleich-aus-mit-dir-Grinsen« stand über mir. Als ich die Augen öffnete, erschraken wir beide. Erst ich, dann er. Ich schloss sie wieder, um die Gesamtsituation zu beruhigen. Ich konnte aber während seiner Behandlung mein Gehirn nicht abschalten. Ich dachte, das macht er ja nicht für mich, das macht er, weil er mindestens acht Geschwister in der Heimat hat, denen er Geld schicken muss, seine Mutter liegt vermutlich krank im Bett und kann sich keinen Arzt leisten, deshalb gießt er mir Ayurvedaöl über die Stirn, und vermutlich, steigerte ich mich in meine Gedankenwelt, vermutlich ist auch noch seine Oma gestorben, und Bharat hat kein Geld für die Heimreise, um auf die Beerdigung gehen zu können. Dieser schreckliche Gedanke veranlasste mich dazu aufzustehen. Ich gab Bharat viel Geld und sagte: »Flieg du zu deiner Oma, ich geh wieder!«
     
    Seltsamerweise fühlte ich mich danach trotz des Abbruchs einigermaßen erholt. So viel zum Thema Putzlappen, grübelte ich über meinem Termintagebuch an meinem Stammplatz im »Café Klughardt«, blickte auf meine leere Tasse und überlegte, ob ich noch einen fünften Cappuccino bestellen sollte, oder ob es schon Zeit sei, zu einem raffinierten Nachmittagscocktail zu wechseln.
     
    Tatjana serviert schwungvoll an einem Vierertisch Latte macchiato und Honigmelonen mit Schinken. Na bravo! Das passt ja. Unterhält sich auch noch angeregt mit denen. Was haben die mit ihr zu reden. Das ist doch Laufkundschaft. Ich bin der Stammgast. Da kommt es mir: Heute wäre doch so ein Tag. Ich habe keinen Termin, gar nichts, heute könnte ich das Fräulein Tatjana auf ein Glas Wein einladen. Und schon fällt mir auch ein wo: bei Herbert in seiner Weinhandlung.
     
    Man steht ungezwungen herum, ohne Bohei und Pipapo, Herbert ist später durch die vielen Weinproben meist gut gelaunt, und es gibt ein angenehmes Neonlicht. Das wäre es doch. Und wie sage ich es ihr? Vielleicht, dass gerade heute der neue Beaujolais Primeur eingetroffen ist, eine einmalige Gelegenheit. Ein Wein so frisch und jung wie Sie, Fräulein Tatjana, stolz, weich mit einer vollmundigen Tiefe, dessen Rundungen sich erst im Abgang offenbaren.
     
    Nein, ich muss es anders angehen. Das klingt irgendwie … nach … Ich weiß nicht. Ich würde nicht mit mir mitgehen. Na gut, ich schon, aber sie nicht. Ich muss es anders angehen. Direkter, normaler, natürlicher. Beim Zahlen. Ich zahl einfach, schreib ihr Herberts Adresse auf und sag im Gehen: »Sind S’ auch dabei, oder? Große Weinverkostung beim Herbert. Toller Laden. Um acht geht’s los. Würde mich freuen.« Dann geb ich ihr die Hand: »Ach ja, ich bin der Hubert, also dann bis später, freu mich!« Und ab.
     
    Das wäre spannend. Ob sie kommt? Unglaublich spannend. Aber jetzt ist es erst halb drei. Und wenn ich jetzt zahle und rübergehe zum Herbert, dann habe ich bis um acht Uhr so einen Fetzen Rausch, und sie kommt vielleicht wirklich. Und überhaupt, was heißt große Weinverkostung, und nur wir zwei stehen in dieser Rumpelkammer. »Toller Laden!« Gerade hab ich noch gedacht, »Ich rede so einen Schmarrn!«, da fällt mir ein, dass ich ja noch gar nichts gesagt habe, sondern nur gedacht.
     

Ein spezieller Blick auf Fräulein Tatjana
     
    Erleichtert will ich mir ein Weißbier bestellen, da geht die Tür auf, und herein kommen der Dr. Manfred Portzner und hinter ihm, sichtbar missgelaunt schlurfend, mein Freund Herbert. Der Portzner, laut wie immer, ruft quer durchs Café: »Aaaah, das habe ich mir ja gedacht, dass ich Sie hier antreffe, das trifft sich ja sehr gut.« Er wendet sich kurz um: »Nicht wahr, Herbert?« Herbert, der ein gutes Stück kleiner ist als Portzner, lässt seinen Kopf gesenkt, zieht nur Augen und Brauen für einen kurzen Moment missbilligend zu Portzner hoch. Seine Hände bleiben in den Hosentaschen, während sie weiter durchs Café auf mich zugehen. Endlich

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