Altstadtrebellen
»… ich brauch jetzt eine Unterhaltung!« Er wendet sich wieder an Leschek: »Inzwischen hat er es natürlich gelernt, der Heinrich. Wenn man auf dem Oktoberfest rumläuft, und es ist einem schlecht, und man weiß nicht wohin, dann geht man halt schnell in die Geisterbahn, da sieht’s keiner, und wenn es doch einer sieht und riecht, ich meine, für was ist eine Geisterbahn da? Es soll einem ja grausen! So, Leschek, da kommen wieder zwei Kunden, die übernimmst du jetzt, weil ich hab jetzt Pause!«
Mit diesen Worten holt Schacherl wieder seine Wodkaflasche aus dem Kästchen, nimmt einen Schluck, Leschek geht zu den hereinfahrenden Autos, und Heinrich nähert sich den Sitzen vor der »Regierungszentrale«.
»Da setz dich her, Heinrich«, sagt Schacherl und gibt ihm ein Bier aus dem Kästchen: »Prost Heinrich!« Gut gelaunt ruft er Richtung Wohnwagen, vor dem Blatschenka immer noch Kreuzworträtsel löst: »Prost Blatschenka, auf deinen Geburtstag. Wie geht’s dir, Blatschenka? Was sagst du, keine Kundschaft? Ist noch zu früh für dich, musst du warten, bis es dämmert, dann kommt Kundschaft zu dir in Wohnwagen, gell! Musst du noch warten!«
Er wendet sich an Heinrich: »Die Blatschenka! Mir gefällt sie! Heinrich, warst du jetzt schon mal drin bei ihr im Wohnwagen?«
Heinrich: »Bisher noch nicht!«
Schacherl: »Wieso nicht? Kannst du doch mal reingehen, ist doch nichts dabei! 50 Euro, eine halbe Stunde, danach geht’s dir gut!«
Heinrich: »Warst du schon mal da?«
Schacherl: »Was, ich? Ob ich bei ihr schon einmal …?« Er zögert: »Einmal.«
Heinrich: »Und, wie war’s?«
Schacherl: »Ja, war nicht schlecht. Ich kann das nicht mit dem Gummi. In der Schule lernst du das nicht. Weißt du, ich glaube, bei mir ist das alles psychisch!« Auf einmal wird er grantig mit sich selbst: »Ich kann das nicht! Schau, kaum hab ich den Gummi drüber, weiß ich, dass ich muss, dann kann ich nicht mehr. Dann rutscht er wieder runter, dann könnt ich wieder, das Ganze dreimal hin und her, dann ist die halbe Stunde sowieso schon vorbei. Aber dich würde das doch nicht stören, Heinrich, du als Grobmotoriker, oder? Du kannst doch mal hingehen zu ihr!«
Heinrich: »Nöö. Ich glaub, die Blatschenka is nüscht für mich!«
Schacherl: »Wieso, gefällt sie dir nicht?«
Heinrich: »Die ist mir’n bisschen zu dicklich!«
»Geh, zu dick, red doch keinen Schmarrn, die Blatschenka ist doch nicht zu dick. Die ist halt gut beieinander, aber nicht zu dick. Was du nicht weißt, die war ja ausgebildete Sängerin in Russland. Ehrlich. Da brauchst du ein Volumen, auch körperlich. Natürlich weißt du das nicht, weil du immer gleich heimgehen musst. Auf dich wartet zwar niemand, aber du musst trotzdem immer gleich heimgehen. Schau, wenn wir hier abends zusperren, dann kommt die Blatschenka zu mir, wir trinken gemeinsam Wodka, und dann stellt sie sich hier vor dich hin und singt. Russische Volksweisen, aber wie, da hörst du die Container vibrieren.«
Plötzlich fängt Schacherl im tiefen Bariton an zu singen, ein lang anhaltender Grundton, dann langsam jeweils einen Halbton in Moll höher, wieder etwas tiefer, es kristallisiert sich tatsächlich eine Melodie heraus. Es ist auf jeden Fall anzunehmen, dass Schacherl sich bei Blatschenkas abendlicher Lust gesanglich einreiht. »Oooh… so ungefähr, gell, Blatschenka, haha. Nein, mir gefällt sie, mich stört an der Blatschenka gar nichts. Na gut, sie müsste sich halt einmal rasieren, dann hätte die wesentlich mehr Kundschaft!«
Er sieht Heinrich an, der zweifelnd ins Leere blickt, und meint dann erstaunt: »Was? Das stört dich wieder nicht, ha?« Schacherl lacht herzlich in sich hinein: »Schon gefällt er mir wieder, der Heinrich. Ja, dann geh halt mal hin zu ihr, Herrschaftzeiten, die halbe Stunde 50 Euro, ich lade dich ein.«
Schacherls Blick wird nachdenklich: »In zwei Monaten ist alles vorbei, da wird der ganze Zinnober abgerissen. Einen Trimm-dich-Pfad wollen s’ herstellen. Ja, so ist es, Heinrich, da wird keiner von uns übernommen, da stehen wir alle auf der Straße, und die Blatschenka gleich zweimal, im doppelten Wortsinn. Was machst du denn, wenn das hier alles vorbei ist?«
Heinrich überlegt nicht lange: »Keine Ahnung. Und du?«
Schacherl: »Ich weiß es auch nicht! Schauen wir halt einmal nach im Anzeiger, vielleicht finden wir was Gemeinsames. Du und ich.«
Er blättert im
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